„Juge Welt“, 22.05.2010
Schuldenkrise in der Euro-Zone hat Ansturm auf US-amerikanische Staatspapiere und Kursexplosion des Dollars ausgelöst. Kein Aufschwung in der Realwirtschaft
Die Krise der Euro-Zone scheint eine wahre Renaissance des US-Dollars als globaler Leitwährung zu befördern und den amerikanischen Finanzsektor regelrecht zu beflügeln. Binnen der letzten sechs Monate sackte die europäische Gemeinschaftswährung von 1,50 US-Dollar je Euro auf nahezu 1,20 US-Dollar ab, was einem Wertverlust des Euro von circa 20 Prozent gegenüber dem Greenback gleichkommt. Ein am vergangenen Montag publizierter Report des US-Finanzministeriums konstatierte eine starke Zunahme ausländischer Investitionen auf dem amerikanischen Finanzmarkt. So hat sich der Absatz langfristiger US-Anleihen und Aktien an ausländische Investoren von 47,1 Milliarden US-Dollar im Februar auf 140,5 Milliarden US-Dollar im März rund verdreifacht.
Dieser Kaufrausch der institutionellen Anleger bildete bei diesem Frühlingserwachen der US-Finanzmärkte den größten Posten. So erhöhte die Volksrepublik China den Anteil von US-Schuldtiteln an ihrem enormen Devisenberg (derzeit ca. 2,4 Billionen US-Dollar) im März um 17,7 Milliarden auf 895,2 Milliarden US-Dollar. Japan, der zweitgrößte Gläubiger der USA, stockte seinen Reserven an US-Staatsanleihen um 16,4 Milliarden US-Dollar auf 784,9 Milliarden auf. Auch Großbritannien legte zu und hält inzwischen US-Schatzbriefe im Gesamtwert von 279 Milliarden US-Dollar.
Neben den Schuldscheinen des Staates gingen auch Bonds der verstaatlichen Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac im vergangenen Monat weg wie warme Semmeln. Papiere im Wert von 22 Milliarden US-Dollar konnten auf den US-Finanzmärkten umgesetzt werden. Der Kauf von in den USA notierten Aktien durch Ausländer ging hingegen von 12,9 Milliarden US-Dollar auf 11,2 Milliarden leicht zurück.
Die amerikanische Wirtschaftszeitung Business Week sieht diese »Flucht in den Dollar« aber auch als Folge einer anhaltenden ökonomischen Erholung, welche sich in der Steigerung der Unternehmensgewinne und höheren AkÂtienkursen zeige. Die USA als weltgrößte Ökonomie hätten in drei aufeinanderfolgenden Quartalen ein stabiles Wirtschaftswachstum verzeichnet. Auch seien »573000 Jobs in den ersten vier Monaten dieses Jahres geschaffen wurden«, schreibt das Blatt. Angesichts der Europäischen Schuldenkrise seien die USA daher für viele Anleger »ein sicherer Hafen in Krisenzeiten«, so Paul Christopher, Analyst bei der US-Bank Wells Fargo.
Doch nichts dürfte weiter von der Realität entfernt sein als der Versuch, diese panikartige Flucht in den Greenback auf eine fundamentale konjunkturelle Belebung in den USA zurückzuführen. Die schweren Ungleichgewichte innerhalb der Euro-Zone basieren letztlich darauf, daß ein einheitlicher Währungsraum ohne einheitliche Wirtschafts- oder Sozialpolitik geschaffen wurde. Dennoch ist die Schuldenkrise in den Vereinigten Staaten in gewisser Weise sogar noch stärker ausgeprägt als in Europa. Die Gesamtverschuldung der USA (Staat, Wirtschaft, Verbraucher) dürfte bald an die 400 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erreichen. Nach dem Platzen der schuldenfinanzierten Spekulationsblase auf dem Immobilienmarkt hält der US-Staat seine Volkswirtschaft in erster Linie mit immer schneller wachsenden Defiziten am Laufen. Allein im Monat April betrug das amerikanische Haushaltsdefizit laut dem Blog Wirtschaftsquerschüsse 82,7 Milliarden US-Dollar, während es im Vorjahresmonat »nur« 20 Milliarden waren. Im Haushaltsjahr 2009/10, das am 30. September endet, soll das Etatloch auf einen neuen Rekordwert von 1,56 Billionen US-Dollar steigen. Dabei explodierte die amerikanische Staatsverschuldung bereits im Haushaltsjahr 2008/09 auf 1,42 Billionen US-Dollar gegenüber 454,8 Milliarden 2007/08.
Neben dieser wahnwitzigen Verschuldung weisen die USA weiterhin ein enormes Handelsbilanzdefizit auf, das ebenfalls immer größer wird. Im März 2010 klaffte zwischen Ein- und Ausfuhren eine Diskrepanz von 40,4 Milliarden US-Dollar. Dies ist der höchste Stand seit dem Dezember 2008. Für das Gesamtjahr wird mit einer Lücke von rund 500 Milliarden US-Dollar gerechnet.
Die angebliche Trendwende auf dem US-Arbeitsmarkt entpuppt sich bei näherem Hinschauen ebenfalls als Luftnummer. Von den 290000 neu geschaffenen Stellen entfielen beispielsweise 66000 auf befristete Einstellungen für die Volkszählung in den USA. Den Löwenanteil dieses »Stellenaufbaus« generierte aber ein Taschenspielertrick: So nahmen die amerikanischen Statistiker ohne jedwede empirische Grundlage schlicht an, daß im vergangenen April 188000 neue Jobs in neu gegründeten Firmen entstanden seien. Ein reales Beschäftigungsplus gab es allenfalls im Sektor Zeitarbeit.
Schließlich sehen sich die USA noch mit einer Spekulationsblase im Immobiliensektor konfrontiert, die immer stärker das US-Finanzsystem belastet. Der Einbruch der Preise für Gewerbeimmobilien summiert sich inzwischen auf knapp 42 Prozent gegenüber deren Höchststand. Die Kreditausfälle bei den Hypotheken in diesem Sektor explodierten folglich im Laufe des vergangenen Jahres auf inzwischen 51 Milliarden Dollar im März 2010. Bis zu 6,4 Prozent aller Kredite und deren Versicherungen gelten mittlerweile als gefährdet oder »notleidend«. Der »sichere Hafen«, in dem nun Investoren und Fonds ihre Zuflucht gefunden zu haben glauben, hat seine Immobilienkrise 2.0 jedenfalls noch vor sich.