Wolken über Chimerica

„Junge Welt“, 20.03.2009
Abhängigkeit lähmt Supermächte: Washington drängt Peking zur Aufwertung der Währung, was Chinas Wirtschaft nicht verkraften würde

Es ziehen dunkle Wolken auf über »Chimerica«. Mit diesem aus den Wörtern China und America geformten Begriff wird in angelsächsischen Medien die ökonomische Symbiose zwischen den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik China bezeichnet. Deren Hauptmerkmal ist ein gewaltiger chinesischer Handelsüberschuß mit einer parallel wachsenden US-Verschuldung gegenüber Peking. Dieses Zusammenspiel scheint nun ernsthaft in Frage gestellt. Mit Nachdruck verlangt die US-Administration eine Aufwertung der chinesischen Währung, was die Ausfuhren des neuen »Exportweltmeisters« in die USA verteuern und damit weniger lukrativ machen würde.

Nur wenige Stunden nach der öffentlichen Beteuerung von Finanzminister Timothy Geithner, wonach die USA und die Volksrepublik keinesfalls »auf einen Handelskrieg zusteuern«, veröffentlichten Ökonomen der Credit Suisse eine Analyse, laut der ein solcher Konflikt momentan wahrscheinlicher sei als zu irgendeinem Zeitpunkt »in den vergangenen fünf Jahren«. Chinas Premierminister Wen Jiabao hatte zum Abschluß des Volkskongresses am 16.März erneut mit allem Nachdruck Forderungen nach einer Aufwertung der Landeswährung Yuan abgelehnt. Daraufhin startete eine Gruppe einflußreicher US-Senatoren eine Gesetzesinitiative zur Verhängung von Strafzöllen gegen chinesische Waren.

Worum geht es? Im vergangenen Jahr führten die Vereinigten Staaten derartig viele Waren aus China ein, daß sich im Verhältnis zu den US-Exporten dorthin ein Defizit von 226 Milliarden US-Dollar ergab. Trotz Weltwirtschaftskrise ist das Minus damit auf einem extrem hohen Stand geblieben (Der Allzeitrekord des chinesischen Handelsüberschusses gegenüber den USA war 2008 erreicht worden und bezifferte sich auf 268 Milliarden US-Dollar.) Im ersten Monat dieses Jahres schnellte das chinesische Absatzplus bereits auf mehr als 18 Milliarden Dollar. Das Ergebnis ist eine fortwährende Verschuldung der USA.

Dennoch warnten chinesische Institutionen und Politiker wiederholt vor den desaströsen Folgen einer Aufwertung des Renminbi (»Volksgeld«, die Einheit ist der Yuan). In einem Exklusivinterview für das Wall Street Journal erklärte der stellvertretende Handelsminister Zhong Shan: »Selbst ein sehr kleiner, weiterer Anstieg des Yuan könnte fundamentale Veränderungen nach sich ziehen.« Die Washington Post kolportierte die Einschätzung regierungsnaher chinesischer Handelsorganisationen, wonach die Gewinnspannen der entsprechenden Unternehmen durchschnittlich bei nur noch rund drei Prozent lägen. Ein Anstieg des Yuan käme demnach »einem Desaster für die arbeitsintensive chinesische Exportbranche« gleich.

Diese Industrie repräsentiert einen Großteil des chinesischen Wachstumswunders, hält sich allerdings trotz wachsender Inlandsnachfrage zum guten Teil durch die exzessiv betriebene US-Verschuldungmaschinerie am Leben. Allein im Februar häufte der Staat ein Defizit von 220 Milliarden US-Dollar auf. Wie der Nachrichtenblog Wirtschaftsquerschuß ermittelte, deckten die US-Steuereinnahmen im Februar 2010 mit etwas mehr als 107 Milliarden US-Dollar nur noch 32 Prozent der Staatsausgaben, die sich auf knapp 328,5 Milliarden Dollar beliefen. Sei Beginn des Fiskaljahres im Oktober 2009 kumuliert sich das Haushaltsdefizit bereits auf rund 651 Milliarden Dollar, was einen Anstieg gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 10,5 Prozent darstellt. Im Fiskaljahr 2008/09 hatten die USA einen Fehlbetrag von 1,41 Billionen Dollar angehäuft. Diese Schuldenmacherei wird beschleunigt durch weitere Konjunktur- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die kurz vor den Wahlen zum US-Kongreß beschlossen wurden und sich auf etwa 38 Milliarden US-Dollar belaufen werden.

Mit der Nachfrage, die durch diese gigantische Verschuldungsorgie erzeugt wird, verhindert Washington den wirtschaftlichen Zusammenbruch der USA. Doch das funktioniert nicht ewig. Ihren finanzpolitischen Selbstmordkurs versucht die US-Administration nun zu verlassen, indem sie mit einem verzweifelten Manöver den Industriesektor erneut stärken will. Binnen fünf Jahren soll der Umfang der Exporte »verdoppelt« werden und hierdurch »zwei Millionen Arbeitsplätze« in der Exportindustrie entstehen – so Präsident Barack Obama Anfang März. Diese neue US-Wirtschaftsstrategie sieht die Schaffung von finanziellen Anreizen für Unternehmen und die Gründung eines Exportrates vor. Gleichzeitig wird außenpolitisch Druck aufgebaut: »Länder mit Außenhandelsüberschuß müssen Konsum und Binnennachfrage stärken«, forderte Obama mit Blick auf China. Wie dies eine unter fallenden Profitraten leidende chinesische Exportindustrie bewerkstelligen soll, die ihre Konkurrenzfähigkeit nur dank maximaler Ausbeutung ihrer Arbeitskräfte aufrechterhalten kann, teilte Obama nicht mit.

Es stellt sich zudem die Frage, was die USA nach Dekaden einer schleichenden Deindustrialisierung eigentlich zusätzlich zu exportieren gedenken. Im Endeffekt hat sich die dortige Industrie von der Krise der siebziger Jahre nie erholt; nur der beständig boomende US-Finanzsektor konnte die Malaise des verarbeitenden Gewerbes durch kreditgenerierte Nachfrage überdecken. So nahm die Zahl der Industriebeschäftigten in den USA von mehr als 17 Millionen im Jahr 2000 auf etwa 11,5 Millionen 2009 ab. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Konjunkturprogramme im Billionenvolumen, die von der Regierung aufgelegt wurden, haben zu keiner signifikanten Belebung der Wirtschaft geführt, sondern nur deren Absturz verhindert.

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