Land für ein Butterbrot

„Junge Welt“, 13.03.2010
»Kolonialismus des 21. Jahrhunderts«: Konzerne und Staaten kaufen und pachten die besten Böden in Entwicklungsländern, vor allen in Afrika

In vielen Ländern der sogenannten Dritten Welt findet derzeit die größte Landnahme seit dem Ende des Kolonialismus statt. Konzerne und Regierungsorganisationen aus Schwellen- und Industriestaaten kaufen vor allem in Afrika riesige Agrarflächen auf, um dort Lebensmittel oder Nutzpflanzen für ihre heimischen Märkte anzubauen. Der Sonderberichterstatter des UN-Menschenrechtsrats für das Recht auf Nahrung, der Belgier Olivier de Schutter, stellte Anfang März einen diesbezüglichen Bericht vor, der Landkäufe oder -pachtungen in Entwicklungsländern erfaßt. Demnach sind seit 2006 bis zu 20 Millionen Hektar Anbauflächet von ausländischen Investoren aufgekauft oder langfristig gepachtet worden. Diese Fläche entspricht in etwa einem Drittel der landwirtschaftlich genutzten Böden in der EU.

Der Bericht benennt rund ein Dutzend Staaten Afrikas, denen angeboten wurde, ganze Landstriche an ausländische Konzerne, Investmentfirmen oder Regierungsorganisationen zu verkaufen oder auf 99 Jahre zu verpachten. Betroffen sind mit Äthiopien, der Demokratischen Republik Kongo, Madagaskar, Somalia, Mali, dem Sudan und Tansania einige der ärmsten Länder der Welt. Rund 80 Prozent der Landkäufer seien »private Investmentfirmen«, betonte De Schutter, während die »lokalen Eliten« die größtenteils »nicht transparent« ausgehandelten Landdeals als Gelegenheit wahrnähmen, »rasches Geld zu machen«.

Eine im Auftrag des britischen Observer von mehreren Nichtregierungsorganisationen (NGOs) durchgeführte Studie beschreibt die Situation als noch problematischer. Der Bericht, an dessen Ausarbeitung unter anderem die NGOs Grain, das International Institute for Environment and Development, die International Land Coalition und ActionAid mitwirkten, nennt 20 oder mehr afrikanische Staaten, bei denen Ländereien im Umfang von bis zu 50 Millionen Hektar gekauft oder gepachtet wurden, »um intensive Landwirtschaft im immensen Umfang« zu betrieben. Dies sei der »größte Eigentumswechsel seit der kolonialen Ära«, konstatierte der Observer.

Entscheidend beschleunigt wurde der Prozeß durch die Lebensmittelkrise der Jahre 2007 und 2008. Und die Dynamik der Landaufkäufe hält an, da inzwischen weitere Faktoren diese befeuern. So werden auf diesen besten Böden Afrikas nicht selten Pflanzen zur Produktion von »Biokraftstoffen« angebaut. Europäische Investoren beispielsweise engagieren sich dabei, um Richtlinien der EU zu erfüllen, wonach bis 2015 zehn Prozent aller Transporttreibstoffe »Bio« sein sollen. Neben den Europäern sind die ölreichen Staaten der arabischen Halbinsel und die Schwellenländer China und Indien stark in Afrika engagiert.

Die Dimensionen sind gigantisch. So wird China in Kongo 2,8 Millionen Hektar Land zur Gewinnung von Palmöl nutzen, um »Biotreibstoff« herzustellen. Allein dieser Deal umfaßt ein Gebiet, die einem Sechstel der landwirtschaftlichen Nutzfläche Großbritanniens entspricht. Europäische Produzenten derartiger »Biotreibstoffe« haben in Afrika bereits 3,9 Millionen Hektar Land gepachtet oder erworben. Saudi-Arabien und andere Golfstaaten konzentrieren sich auf Ostafrika. Einer der reichsten Männer der Welt, der saudische Scheich Mohammed al-Amoudi, investiert zwei Milliarden US-Dollar, um in Äthiopien 500000 Hektar Land aufzukaufen. Dort will er Lebensmittel und Blumen für den saudischen Markt produzieren. Während 13 Millionen Äthiopier von Lebensmittelhilfen abhängig sind, gab die Regierung drei Millionen Hektar der besten Flächen zur langjährigen Verpachtung frei.

Die Bevölkerung in den betroffenen Gebieten, die zumeist Subsistenzlandwirtschaft betreibt (also sich von ihrem kargen Stück Land lediglich zu ernähren versucht), wird enteignet. Ihr Land sei ihnen »weggenommen worden«, und sie hätten keinerlei Entschädigung erhalten, erklärten Äthiopier aus der Region Gambela gegenüber dem Observer: »Tausende Menschen sind betroffen, und Tausende Menschen werden hungern.« Dies sei ein »neuer Kolonialismus des 21. Jahrhunderts«. Weltweit sterben nach UN-Angaben inzwischen 24000 Kinder an den Folgen von Hunger und Unterernährung – täglich.

Die Arbeits- und Lebensbedingungen des neuen afrikanischen Agrarproletariats sind unmenschlich. So zahlt der indische Agrarkonzern Karuturi Global, der in Äthiopien 300000 Hektar Land bewirtschaftet seinen Arbeitern laut der Nachrichtenagentur Bloomberg umgerechnet »weniger als 1,25 US-Dollar« täglich, während die »jährlichen Einkünfte dieses Unternehmens 2013 100 Millionen US-Dollar überschreiten« sollen.

»Die Inder zeigen keine Menschlichkeit. Nur weil wir arm sind, macht uns dies nicht weniger zu Menschen«, klagte ein Betroffener gegenüber Bloomberg. Die Landarbeiter könnten trotz des Einkommens »an vielen Tagen nur einmal täglich essen«. Der Präsident der Region Gambela, Omod Obang Olom, zeigte sich hingegen in einem Interview vom Landverkauf begeistert: »Unserer Strategie besteht darin, den Kapitalismus aufzubauen. Wir haben hier Platz für jeden Investor. Wir haben fruchtbares Land, es gibt gute Arbeitskräfte, wir können sie unterstützen.« Die billigen Pachtzinsen sind ein weiterer Faktor, der die Landnahme in Afrika beschleunigt. Während Karuturi Global in Äthiopien umgerechnet 1,18 US-Dollar jährlich pro Hektar entrichten muß, wären hierfür im Schwellenland Indonesien 350 US-Dollar fällig.

Widerstand gegen diesen Agrarimperialismus muß nicht vergebens sein. Das veranschaulicht das Beispiel Madagaskar. Der koreanische Konzern Daewoo Logistics wollte mit der Pacht von 1,9 Millionen Hektar einen großen Teil der besten landwirtschaftlichen Nutzfläche des Inselstaates zur Exportproduktion nutzen. Der Widerstand gegen diese Pläne war einer der treibenden Faktoren, die zum Sturz des damaligen Präsidenten Madagaskars, Marc Ravalomanana, führten. Sein Amtsnachfolger Andry Rajoelina mußte im März 2009 diesen Vertrag annullieren.

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