Patient bleibt am Tropf

„Junge Welt“, 09.03.2009
Rumänien: Pleitewelle, Entlassungen, Überschuldung: Trotz IWF-Geldern und »Sparprogramm« stagniert 2010 die Wirtschaft

Mit gut zweimonatiger Verspätung überwies der Internationale Währungsfonds (IWF) Ende Februar Rumänien 2,4 Milliarden Euro. Es handelte sich um die dritte Tranche eines Notkredits in Höhe von insgesamt 20 Milliarden Euro, den das Land bei Ausbruch der globalen Krise in Washington hatte aufnehmen müssen um einen Staatsbankrott zu vermeiden. Zwischenzeitlich hatte der IWF im September aufgrund der Regierungskrise in Bukarest jegliche Zahlungen eingestellt. Nach eingehender »Prüfung« der Politik des neuen Kabinetts von Ministerpräsident Emil Boc habe der Verwaltungsrat die Auszahlung der Gelder bewilligt, hieß es in einer Erklärung des Währungsfonds.

»Schwieriges Umfeld«

Rumänien befindet sich laut dem stellvertretenden IWF-Generaldirektor John Lipsky in einem »schwierigen politischen und wirtschaftlichen Umfeld«, das von der Regierung »schwierige Ausgabenentscheidungen« und eine »willensstarke und standfeste Umsetzung« erforderlich mache. Auch müssen im Gegenzug für die IWF-Gelder massive Ausgabenkürzungen durchgesetzt werden, um das Haushaltsdefizit von etwa sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) 2009 in den kommenden Jahren auf die im Euro-Stabilitätspakt festgeschriebenen drei Prozent zu drücken.

Was dies bedeutet, erfuhren am 5. März beispielsweise 10300 rumänische Eisenbahnangestellte, denen im Rahmen des beschlossenen Sparprogramms gekündigt wurde. Bis zu 100000 Angestellte im öffentlichen Dienst könnten langfristig aufgrund der »IWF-Strukturanpassungsprogramme« ihren Arbeitsplatz verlieren. Zudem wurde der Mindestlohn vorerst bei umgerechnet etwa 200 US-Dollar eingefroren.

Zu den entlassenen Eisenbahnern werden sich bald auch Tausende Bankangestellte gesellen, da der Finanzsektor sich nach dem Zusammenbruch der rumänischen Defizitkonjunktur in einer schweren Krise befindet. Auf dem Höhepunkt der auf Pump finanzierten Konjunktur waren im Lande nahezu 72000 Menschen im Bankensektor beschäftigt. Nach der jüngsten Entlassungswelle Anfang März werden dort der Wirtschaftszeitung Ziarul Financiar zufolge nur noch etwas mehr als 65000 Rumänen eine Anstellung haben. Neben einer stark zurückgegangenen Kreditvergabe sind es die zunehmenden Verzögerungen bei der Bedienung von Darlehen und Hypotheken, die den Bankensektor belasten. So meldete Anfang März die österreichische Erste-Bank, daß die Ausfallraten bei Konsumentenkrediten in Rumänien die zweithöchsten gleich nach denen in der Ukraine seien. Den privaten Bankguthaben der Bevölkerung in Höhe von umgerechnet 23,5 Milliarden Euro stehen Verbindlichkeiten von rund 23,7 Milliarden Euro gegenüber. Im vergangenen Jahr mußten 20 rumänische Finanzinstitute in Konkurs gehen.

Zu dem Problem der Banken trägt maßgeblich der Immobilienmarkt bei, der den Auswirkungen einer geplatzten Spekulationsblase ausgesetzt ist. An die 3600 Immobilienunternehmen und Baufirmen sind im vergangenen Jahr bankrott gegangen, da der Bausektor mit einem Rückgang von 12,2 Prozent besonders schwer von der Rezession betroffen war. Die Errichtung von Wohnimmobilien ging sogar um 13,3 Prozent zurück. Insgesamt schrumpfte das rumänische BIP 2009 um 7,2 Prozent. Um einiges geringer fiel hingegen der Rückgang des Ausstoßes im verarbeitenden Gewerbe aus, der im vergangenen Jahr »nur« 5,4 Prozent betrug. Zu dieser Entwicklung trug zu einem guten Teil der Umsatzzuwachs von 20 Prozent der rumänischen Renault-Tochter Dacia bei, die 2009 mehr als 311000 PKWs absetzen konnte. Hier wirkten sich die »Abwrackprämien« in etlichen westeuropäischen Ländern stimulierend aus. Trotz dieses Plus sank der Jahresgewinn Dacias aufgrund der zunehmenden Konkurrenz von 60,3 Millionen Euro in 2008 auf nur noch 54 Millionen. In Rumänien sollen im abgelaufenen Jahr 17670 Unternehmen ihre Tätigkeit aufgrund der Wirtschaftskrise eingestellt haben. Die Zahl der Firmenpleiten ist somit gegenüber 2008 um das Zwölffache angestiegen.

Neoliberal hat versagt

Auch die seit Jahrzehnten Osteuropa aufgenötigte neoliberale Strategie, wonach periphere Volkswirtschaften durch Hungerlöhne und niedrigste Steuern möglichst hohe ausländische Direktinvestitionen (FDI) zur Wirtschaftsbelebung anlocken sollen, blamiert sich an der Realität der Wirtschaftskrise: So fielen die Direktinvestitionen in Rumänien im Krisenjahr Jahr 2009 um 48,4 Prozent auf nur noch 4,89 Milliarden Euro. Die massenhaften Entlassungen im staatlichen und vor allem privaten Sektor ließen die – ohnehin gnadenlos geschönte – offizielle Arbeitslosenquote in Rumänien bereits auf 8,1 Prozent hochschnellen. Dabei geht der IWF davon aus, das die Erwerbslosenquoten in diesem Jahr sogar auf rund zehn Prozent anschwellen werden, bis in der zweiten Jahreshälfte »die ökonomischen Aktivitäten erneut starten«.

Die moderat optimistischen Konjunkturaussichten des IWF, die in zeitlicher Nähe zur Verabschiedung des rumänischen Sparpakets öffentlich lanciert wurden, scheinen bereits jetzt Makulatur zu sein. Um 1,3 Prozent sollte die Wirtschaft in diesem Jahr laut IWF-Prognose wachsen. Eine jüngst publik gewordene Vorhersage der Regierung geht inzwischen davon aus, daß die Wirtschaft in diesem Jahr de facto stagnieren wird und bestenfalls ein Wachstum von höchstens 0,2 Prozent generiert könnte. Diese Aussicht könnten Rumänien sogar zwingen, Ende des Jahres ein erneutes Kreditpaket in Anspruch nehmen zu müssen, warnte am 5. März der rumänische Präsident Traian Basescu.

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