Halluzinierte Eiszeit

„Junge Welt“, 04.02.2010

Das kalte Wetter hat wenig mit dem Klima zu tun, aber tatsächlich könnte es hierzulande wegen der Erderwärmung vorübergehend kühler werden

Kaum kehrt für ein paar Wochen in weiten Teilen der Nordhalbkugel der Winter ein, schon machen die Leugner des Klimawandels in den Massenmedien mobil. So konstruierte etwa die stramm rechte Wochenzeitung Focus Mitte Januar einen »Forscherstreit« um eine global drohende »Kaltzeit«, die durch die schwache Sonnenaktivität ausgelöst würde und die »Klimakatastrophe« ausfallen ließe. Auf mehreren Seiten der Titelstory konnten zwielichtige Gestalten aus dem Umfeld klimaskeptischer Zirkel wissenschaftlich längst widerlegte Thesen ausbreiten, bis gegen Ende des Artikels auch der Focus kleinlaut einräumen mußte, daß die Sonnenaktivität seit Jahresende erneut zugenommen habe. Eine ähnliche, wenn auch nicht ganz so reißerische Story hatte der Spiegel bereits am 11. November 2009 lanciert. Hier wurde über eine angebliche »Pause« bei der Erderwärmung berichtet, die ebenfalls Gegenstand leidenschaftlicher Diskussionen unter Klimatologen sei. Auch der Tagesspiegel berichtete am 28. Januar, daß die Erderwärmung »gebremst« sei.

Selbstverständlich bestimmt die Sonneneinstrahlung das Klima, doch sind die Auswirkungen des anthropogenen Klimawandels längst um ein Vielfaches größer als die Folgen der gewöhnlich elfjährigen Sonnenzyklen. Die Perioden niedriger Sonnenaktivität, die sich im Fehlen der sogenannten Sonnenflecken manifestieren, sind schlicht zu kurz für einen signifikanten Einfluß auf das Klima – dies ist wissenschaftlicher Konsens. Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung kam beispielsweise 2004 zu der Schlußfolgerung, daß die solare Aktivität nur eine »kleine Rolle« bei der globalen Erwärmung spiele. Hierbei wurden die »gemessenen Variationen in der Sonnenhelligkeit in den vergangenen 150 Jahren« mit der Entwicklung der globalen Temperatur im selben Zeitraum verglichen. Das Ergebnis: »Obwohl die Änderungen bei den zwei Werten während der ersten 120 Jahre annähernd dazu tendieren, einander zu folgen, stieg die Temperatur der Erde in den letzten 30 Jahren dramatisch, während die Sonnenhelligkeit in dieser Zeit nicht merklich angestiegen ist.« Nur eine langanhaltende Phase verringerter Sonnenaktivität, wie das nach dem englischen Astronomen Edward Walter Mauder benannte »Maunderminimum« von 1645 bis 1715 hätte erheblichen Einfluß auf das Klimageschehen.

Auch von einer »Pause« der Erderwärmung kann keine Rede sein. Mitte Januar veröffentlichte die NASA ihre Analyse der globalen Temperaturen für das vergangene Jahr. Demnach war 2009 – zusammen mit 2007 – das zweitwärmste Jahr seit Beginn der systematischen Wetteraufzeichnungen vor 130 Jahren. Nur das Jahr 2005 war bislang wärmer. Auf der Südhalbkugel wurde im vergangenen Jahr sogar ein Wärmerekord registriert. Darauf, daß die Erderwärmung pausiert, deuten allerdings die Daten der Climate Research Unit (CRU) hin, die dem meteorologischen Dienst Großbritanniens angegliedert ist. Nach deren Datenreihen, auf die sich alle möglichen sogenannten Klimaskeptiker berufen, scheint sich der Erwärmungstrend in den letzten Jahren tatsächlich abzuschwächen. Das bisher wärmste Jahr wäre nicht 2005, sondern 1998.

Der renommierte Klimawissenschaftler Stefan Rahmstorf machte mehrfach auf Unzulänglichkeiten bei der Berechnung der globalen Temperaturentwicklung durch die CRU aufmerksam: Diese Daten berücksichtigten die Entwicklung in der Arktis nicht und gingen davon aus, »daß die Arktis sich nicht stärker erwärmt hat als der globale Durchschnitt«. Dabei sei mit verschiedenen Datenquellen belegt, daß die arktische Region sich überdurchschnittlich erwärmt habe: »Die NASA-Daten interpolieren aus den wenigen Meßpunkten der Arktis die Temperatur der ganzen Region (was vielleicht nicht exakt, aber näherungsweise richtig ist), während die Hadley-Daten die Arktis einfach weglassen (was einen großen Fehler verursacht, wenn die Temperaturen der Arktis gegenüber dem Rest der Welt variieren).« Eine »Pause« in der Klimaerwärmung kann also nur unter Ausklammerung der Entwicklung in der Arktis konstatiert werden. Überdies wurden selbst den CRU-Daten zufolge nur in drei aufeinanderfolgenden Jahren (2006 – 2008) jeweils niedrigere Temperaturen ermittelt, weswegen kaum von einem längerfristigen Klimatrend gesprochen werden kann.

Ironischerweise könnte die fortschreitende Klimaerwärmung zumindest in Nordwesteuropa zu einer zeitweiligen Abkühlung führen. Westeuropa verdankt sein mildes Wetter dem Golfstrom, der, gleich einem gigantischen Wärmefließband, warme Wassermassen aus dem Golf von Mexiko quer über den Atlantik bis vor die Küste Norwegens befördert. Hier kühlt sich das Wasser ab, sinkt in zwei- bis dreitausend Metern Tiefe und fließt wieder nach Süden zurück. Der Golfstrom ist sozusagen die »Heizung« Europas, weswegen das Klima in Nordwesteuropa sehr viel milder ist als beispielsweise in denselben Breitengraden der nordamerikanischen oder russischen Pazifikküste. Einer ganzen Reihe von Klimaszenarien zufolge könnte eine fortgesetzte Eisschmelze in der Arktis den Salzgehalt im Nordatlantik stark sinken lassen. Dieses Absinken der Wassermaßen des Golfstroms – Salz erhöht die Dichte des Wassers – könnte »Europas Heizung« zusammenbrechen lassen. In der Wissenschaft sind die Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios wie auch dessen Auswirkungen umstritten, da nicht klar ist, wann ein solcher Kippunkt erreicht und wie weit die globale Klimaerwärmung dann schon fortgeschritten wäre.

Offensichtlich ist aber die Motivation hinter den Machenschaften der »Klimaskeptiker«, die zusehends öffentliche Beachtung finden. Spätestens seit dem gescheiterten Klimagipfel von Kopenhagen ist klar, daß das von einer schweren System- und Existenzkrise erschütterte spätkapitalistische Weltsystem außerstande ist, adäquat auf die drohende Umweltkrise zu reagieren. Für die Apologeten in den Massenmedien bleibt nur noch ein Ausweg: Den Sand im Kopf stecken und die Tatsachen ignorieren – selbst wenn hierbei unser winterliches Wetter mit der langjährigen, globalen Klimaentwicklung verwechselt werden muss.

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