Sieg des Lobbyismus

„Junge Welt“, 26.01.2009

Oberstes Gericht der Vereinigten Staaten erlaubt Kapitalgesellschaften unbegrenzte Wahlkampffinanzierung. Selbst US-Präsident zeigt sich schockiert

Selten hat eine Grundsatzentscheidung des Supreme Court die US-Öffentlichkeit derart aufgewühlt, wie das jüngst gefällte Urteil zur Wahlkampffinanzierung. Selbst Präsident Barack Obama übte scharfe Kritik an der Entscheidung der auf Lebenszeit gewählten Richter: »Der Oberste Gerichtshof hat grünes Licht für einen neuen Ansturm von Lobbygeldern auf unsere Politik gegeben. Das ist ein großer Sieg für die Ölmultis, die Wall Street, die Versicherungskonzerne, die in Washington täglich ihre Macht einsetzen, um die Stimmen der Amerikaner zu übertönen.« Er könnte sich »nichts Verheerenderes für das öffentliche Interesse vorstellen«, als das am vergangenen Donnerstag ergangene höchstrichterliche Urteil, das »unsere Demokratie direkt angreift«, warnte Obama in seiner allwöchentlichen Radioansprache.

Was war geschehen? Mit einer knappen Mehrheit von fünf zu vier Stimmen beschloß das Gremium, jegliche Beschränkungen von Wahlkampfwerbung durch Firmen, Konzerne oder Banken aufzuheben. Künftig dürfen Kapitalgesellschaften unbegrenzte Summen zur direkten Finanzierung von Werbekampagnen »ihrer« Kandidaten aufwenden. Damit folgte die konservative Mehrheit im höchsten US-Gericht der Argumentation der Kläger, die in dem bisherigen Verbot jeglicher direkten Wahlkampfwerbung durch Konzerne eine »Einschränkung der Meinungsfreiheit« sahen. Konkret wurde das von der Bundeswahlkommission während des letzten Wahlkampfes verhängte Verbot der Ausstrahlung eines konservativen Propagandafilms über Hillary Clinton verhandelt. Die klagende »Citizens United« wurde dabei von der US-Handelkammer (Chamber of Commerce) unterstützt, die als Nebenkläger auftrat.

US-Unternehmen verfügen bereits jetzt viele Möglichkeiten, auf politische Entscheidungsprozesse in Washington einzuwirken. Zu den wichtigsten Lobbygruppen gehören die sogenannten Political Action Committees (PAC), die im Auftrag bestimmter Interessengruppen oder Politiker Geldsammlungen organisieren oder Medienkampagnen durchführen. Die PACs dürfen nur bescheidene Beträge direkt an Kandidaten oder Parteien spenden (zwischen 5000 und 15000 US-Dollar jährlich). Dafür können sie aber unbegrenzte Mittel bei Medienkampagnen aufwenden. Bisher waren der Wahlwerbung dieser Lobbygruppen gewisse Grenzen gesetzt. Sie durften Radio- oder Fernsehspots nur zu Sachthemen schalten und somit nur indirekt einen Kandidaten unterstützen oder bekämpfen. Auch die individuellen Spenden sind in den USA auf 2300 US-Dollar begrenzt. Deshalb »bündeln« die Konzernen oftmals ihre Zuwendungen. So »sammelten« beispielsweise 2007 die Angestellten der Investmentbank Goldman Sachs Hunderttausende US-Dollar für den damaligen Präsidentschaftsanwärter Barack Obama. Beliebt sind auch »Spendendinner«, bei denen ein pappiger Hot Dog schon mal 100 Dollar kosten kann. Der Journalist Chris Hedges spricht von einer regelrechten Armee von insgesamt »35000 Lobbyisten in Washington und Tausenden mehr in den Hauptstädten der Bundesländer, die Unternehmensgelder auszahlen, um die Gesetzgebung zu formen und zu schreiben«.

Senator Russell Feingold von der Demokratischen Parte rechnete vor, daß 2008 die 500 größten US-Konzerne Profite in Höhe von 743 Milliarden US-Dollar realisiert hätten, während im Verlauf der Präsidentschaftswahl von allen Kandidaten zwei Milliarden US-Dollar aufgewendet wurden. Dies sei zwar viel Geld, doch »nichts« im Vergleich zu dem, was Konzerne in ihren »Kriegskassen« hätten, so Feingold. Beispielsweise könnten »Wall-Street-Banken« Millionensummen ausgeben, um eine Regulierung des Finanzmarktes zu verhindern. Die Entscheidung, durch die eine jahrzehntelange Gesetzgebung zur Einschränkung des Wirtschaftslobbyismus ausgehöhlt werde, versetze die USA laut Feingold zurück in die Ära der kapitalistischen »Räuberbarone im 19. Jahrhundert«. Dabei habe das Oberste Gericht noch vor sechs Jahren in einem Urteil festgestellt, daß die Verbote der Wahlkampffinanzierung durch Unternehmen und Gewerkschaften »fest in unserem Rechtssystem eingebettet« seien. »Die einzige Sache, die sich seitdem verändert hat, ist die Zusammensetzung des Gerichts«, konstatierte Feingold.

Die ist ein Erbe der Bush-Ära. Zwei der fünf konservativen Bundesrichter, die für die Abschaffung jeglicher Regelungen der Wahlkampffinanzierung stimmten, wurden von einem US-Präsidenten ernannt, der sein Amt ohnehin nur einer fragwürdigen Entscheidung desselben Gerichts im Jahr 2000 verdankte. Zudem kommt dieser Richterspruch rechtzeitig vor den am 2. November anstehenden Halbzeitwahlen zum Senat und Repräsentantenhaus. Vertreter der Republikaner – die vor allem von dieser Deregulierung profitieren werden – feierten den Spruch als eine »monumentale Entscheidung«. Die unterlegene Minderheitsfraktion im Supreme Court erklärte hingegen, daß dieses Urteil die »Integrität der Institutionen zu unterminiere«.

Im Endeffekt haben die Richter den US-Konzernen Menschenrechte verliehen und damit »in bizarrer Weise die Wahlkampffinanzierung von Unternehmen mit den fundamentalen Recht auf freie Meinungsäußerung von Individuen vermengt«, stellte die demokratische Abgeordnete Rosa DeLauro fest. Die »lebenden, atmenden Menschen« zukommenden Rechte seien so auch auf »leblose Interessensvereinigungen« ausgedehnt worden. Die Konzerne hätten nun »alle Privilegien der Staatsbürgerschaft, aber keine der daraus resultierenden Verantwortlichkeiten«, bemerkte hierzu das progressive Internetportal alternet.org. Der demokratische Kongreßabgeordnete Alan Grayson wagte in diesem Zusammenhang schon mal einen Ausblick in die Zukunft: »Du wirst keine Senatoren mehr aus Kansas oder Oregon haben, du wirst Senatoren von Exxon oder Wal Mart haben. Vielleicht werden wir Unternehmenslogos tragen müssen, wie die Fahrer der Nascar-Rennserie.«

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