„Junge Welt“, 06.01.2010
Wieder fauler Kompromiß? Nach Gesundheitsreform droht auch Obamas zweites Prestigeprojekt als Farce zu enden
Nach der sogenannten Gesundheitsreform will die US-Regierung in diesem Jahr ein weiteres ehrgeiziges Projekt in Angriff nehmen – eine umfassende Klimagesetzgebung. Er sei sich im klaren darüber, daß deren Durchsetzung »ohne Zweifel sehr hart« werde, hatte US-Präsident Barack ÂObama Ende Dezember der Washington Post gesagt. Dennoch sei er »zuversichtlich«, dem »amerikanischen Volk das Argument nahezubringen«, daß die Technologien zur Gewinnung »sauberer Energie« entscheidend für künftiges Wirtschaftswachstum seien.
Entschärfter Entwurf
Derzeit wird ein entsprechender Entwurf im Senat beraten. Und auch dieses Vorhaben scheint das Schicksal der kläglich gescheiterten Gesundheitsreform zu teilen. Deren ursprünglich fortschrittliche Zielsetzung war auf Druck konservativer Politiker und mächtiger Lobbygruppen Schritt um Schritt ausgehöhlt worden. Das letztlich verabschiedete Gesetzespaket steht nun den ursprünglichen Intentionen nahezu diametral entgegen. Deshalb werde nun zur Klimaproblematik gleich eine parteiübergreifende Gesetzgebung angestrebt, hatte die Washington Post am 26.Dezember gemeldet. »Ich denke nicht, daß der Senat noch Appetit auf einen weiteren epischen und polarisierenden legislativen Krieg hat«, begründete das der nicht parteigebundene Senator Joseph Lieberman gegenüber dem Hauptstadtblatt.
Der als stramm rechts geltende Senator arbeitet gemeinsam mit seinen Amtskollegen John Kerry (Demokraten) und Lindsey Graham (Republikaner) die Grundzüge der Klimagesetzgebung aus, die dann der zweiten Kammer des US-Parlaments zur weiteren Debatte vorgelegt werden. Wohin die Reise gehen soll, hatte bereits Anfang Dezember die New York Times (NYT) skizziert. Die Autoren des Gesetzesentwurfs hätten ihre Unterstützung für Atomstromgewinnung und neue Ölbohrungen beteuert, um den »Rückhalt moderater Demokraten und Republikaner« für die Initiative zu gewinnen. Bereits damit war die angestrebte Reduzierung der US-Treibhausgasemissionen von 20 auf 17 Prozent bis 2020 verringert worden.
Der vorgeschlagene Gesetzestext nennt den weiteren Ausbau der Atomenergie eine »essentielle Komponente« bei der angestrebten Reduzierung der CO2-Emissionen. Gegenüber der New York Times gab ein Sprecher der Lobbygruppe Nuclear Energy InstiÂtute freimütig zu, daß dieser Entwurf für die von ihm vertretenen Kreise »auf der konzeptionellen Ebene sehr gut« aussehe. Zudem sollen weitere Abschnitte der US-Küstengewässer für die Suche nach neuen Ölquellen freigegeben werden, wobei die dabei zu erzielenden Steuern fifty-fifty an Zentralregierung und Bundesstaaten gehen sollen: »Das Teilen der Einnahmen bedeutet, daß Anreize für die Staaten geschaffen werden, weitere Bohrlizenzen zu vergeben«, sagte ein Umweltaktivist in der NYT und befürchtet noch mehr Zugeständnisse an die Energieindustrie. Schließlich wollen die Macher der Gesetzesvorlage auch sicherstellen, daß die Kohle »Teil des künftigen Energiemixes« der USA bleibe.
Die Nichtregierungsorganisation Center for Public Integrity (CPI) veröffentlichte am 27. Dezember eine Studie, die sich mit den Machenschaften der Lobbyisten in Washington bezüglich der Klimagesetzgebung beschäftigt. Im Laufe des vergangenen Jahres hatte das CPI dabei ein beständiges Anwachsen der Vertretungen auf inzwischen 1160 »Unternehmen und Gruppen« registriert, die allein im dritten Quartal 2009 an die 30 Millionen US-Dollar zur Beeinflussung des entstehenden Gesetzes aufwendeten. Da die Lobbyisten ihre exakten Ausgaben nicht veröffentlichen müssen, ist das CPI auf Schätzungen angewiesen. Denen zufolge waren die Aufwendungen – konservativ geschätzt – um 13 Prozent gegenüber dem zweiten Quartal 2009 angestiegen.
Geballte Konzernmacht
Zu den wichtigsten Kräften, die einen effektiven Klima- und Umweltschutz verhindern oder verzögern wollen, gehören die verarbeitende Industrie, die Energiewirtschaft inklusive der Öl- und Gasförderer, der Transportsektor und die industrielle Landwirtschaft. Inzwischen seien auch viele neue Wirtschaftsbereiche und Unternehmen in den Kampf um die Ausgestaltung des Gesetzes eingestiegen, wie etwa die Lebensmittelhersteller Campbell Soup und Kelloggs, berichtete CPI. Hierbei handele es sich um »Unternehmen oder Organisationen, die der Ansicht sind, beim Kampf um einen Platz am Tisch übersehen worden zu sein«. Die Lebensmittelbranche sehe sich beispielsweise dadurch benachteiligt, daß nur energieintensive Unternehmen mit kostenfreien Zertifikaten im Rahmen des angestrebten Emissionshandels versorgt werden sollen, während Konzerne wie »Campbell ihre Zertifikate auf Auktionen einkaufen« müßten, kommentierte die NYT.
Selbstverständlich gibt es auch eine Interessenvertretung, die für eine Ausweitung des Klimaschutzes streitet. Doch diese Gruppen sind finanziell nicht in der Lage, mit den oben genannten zu konkurrieren. Das CPI nennt »an die 60« Lobbyisten für Risikokapitalgesellschaften, die gerne in erneuerbare Energien investieren würden, zudem 170 Interessenvertreter der alternativen Energiebranche und etwa 160 von Umweltgruppen, die immer noch »eins zu fünf« den gut 2000 Repräsentanten der Industrie unterlegen seien, die ein wirksames Klimagesetz verhindern wollen. Die tatsächlichen Machtverhältnisse in Washington illustrierte auch ein Bericht der Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg vom Juli vergangenen Jahres, laut dem allein der berüchtigte Energiekonzern Exxon Mobil im ersten Halbjahr 2009 mit 14,9 Millionen US-Dollar mehr Geld für Lobbytätigkeit in Washington ausgab als alle US-Hersteller von Solarzellen und Windrädern zusammengenommen (12,1 Millionen).