„Junge Welt“, 20.10.2009
Rumänien: Finanzexperte und langjähriger hochrangiger Mitarbeiter des Internationalen Währungsfonds soll neuer Ministerpräsident werden
Das hart von der Weltwirtschaftskrise getroffene Rumänien wird seit Wochen von innenpolitischen Auseinandersetzungen erschüttert. Wegen zunehmender Rivalitäten im Vorfeld der für den 22. November angesetzten Präsidentschaftswahlen platzte am 1. Oktober die rumänische Regierungskoalition, die von den Liberaldemokraten – denen auch der amtierende Präsident Traian Basescu nahesteht – und den rumänischen Sozialisten gebildet wurde. Das Bündnis zerfiel, nachdem Regierungschef Emil Boc Innenminister Dan Nica entließ, woraufhin alle Kabinettsmitglieder der Sozialisten die Regierung verließen. Der Innenminister mußte seinen Hut nehmen, nachdem er öffentlich Präsident Basescu beschuldigt hatte, einen großangelegten Wahlbetrug während der Präsidentschaftswahlen zu planen. Mircea Geoana, Vorsitzender der Sozialistischen Partei, gilt als einer der aussichtsreichsten Rivalen des derzeitigen Staatschefs um das höchste Amt.
Die rumänische Verfassung räumt dem Präsidenten umfassende Befugnisse ein. So konnte Basescu am 14. Oktober den von einer Parlamentsmehrheit als Nachfolger Bocs vorgeschlagenen rumäniendeutschen Politiker Klaus Johannis ablehnen und einen eigenen Kandidaten ins Rennen um das Amt des Regierungschefs schicken. Dieser, ein sogenannter Finanzexperte, muß sich binnen zehn Tagen – also bis zum 24. Oktober – einer Abstimmung im Parlament stellen. Doch eine Parlamentsmehrheit hat bereits erklärt, den Kandidaten Lucian Croitoru nicht unterstützen zu wollen. Am Montag begannen dennoch erste Sondierungsgespräche zwischen dem Anwärter und Vertretern der wichtigsten Parlamentsfraktionen.
Er habe Croitoru ausgewählt, weil dieser »die Sprache des IWF« spreche, rechtfertigte der Präsident seine Entscheidung. Dies dürfte eine Untertreibung sein. Der Wunschkandidat ist direkt ein Mann des Internationalen Währungsfonds. Zwischen 2003 und 2007 war Croitoru – derzeit als Berater des rumänischen Zentralbankchefs Mugur Isarescu tätig – Vertreter des Landes beim IWF in Washington.
Praktischerweise war der designierte Regierungschef auch in führender Position an den Verhandlungen über milliardenschwere Hilfen beteiligt, die der Fonds gemeinsam mit Weltbank und Europäischer Union dem Land gewährte, um es vor dem Staatsbankrott zu retten. Hauptsächlich zur Stützung der Landeswährung und zur Deckung des Haushaltsdefizits gab es ein Kreditpaket von 12,3 Milliarden Euro. In mehreren Tranchen wurden bereits 6,5 Milliarden ausgezahlt.
Selbstverständlich wurde auch hier die Kreditvergabe an strikte Auflagen geknüpft, die Bukarest auf Kosten der rumänischen Lohnabhängigen implementieren muß. Im Gespräch ist beispielsweise eine Erhöhung des Rentenalters von derzeit 63 Jahren bei Männern und 58 Jahren bei Frauen auf 65 Jahre. Die im öffentlichen Sektor beschäftigten Rumänen wurden bereits mit den ersten Kürzungen konfrontiert: Sie wurden zu zehn Tagen unbezahlten Urlaubs verpflichtet. Am 7. Oktober gingen Zehntausende Gewerkschafter in der Hauptstadt auf die Straße, um gegen das niedrige Einkommensniveau in Rumänien und weitere Lohnkürzungen zu protestieren. An einem eintägigen Warnstreik am 5. Oktober beteiligten sich sogar Hunderttausende Beschäftigte des öffentlichen Dienstes. Die Gewerkschafter forderten vor allem eine Erhöhung des rumänischen Mindestlohns auf 650 Leu – das sind 155 Euro.
Dabei legte der IWF durchaus eine gewisse Flexibilität an den Tag. So soll das Haushaltsdefizit erst 2011 unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gedrückt werden. In diesem Jahr darf Bukarest noch eine Neuverschuldung von 7,3 Prozent des BIP aufweisen, nachdem sich die ursprüngliche Vorgabe des Währungsfonds von 4,5 Prozent als unrealistisch erwiesen hatte. Für die Bürger bedeutet dies, daß die schwersten Einschnitte erst noch bevorstehen.
Das Nachgeben des IWF resultierte vor allem aus dem Einbruch der rumänischen Konjunktur. Neuesten Berechnungen zufolge soll die Wirtschaft in diesem Jahr um acht Prozent schrumpfen – gerechnet hatte der Fonds mit vier Prozent. Die europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung prognostiziert für 2010 nur ein minimales Wachstum von einem Prozent. Angesichts dieser Lage bleibt Rumänien dringend auf die Mittel des IWF angewiesen. Wie die Wirtschaftszeitung Ziarul Financiar am 19. Oktober meldete, weist der Staatshaushalt einen Finanzierungsbedarf, sprich eine Lücke, von 3,5 Milliarden Euro allein für die letzten drei Monaten dieses Jahres auf. »Was würde passieren«, fragt das Wirtschaftsblatt, wenn die Finanzierung seitens des IWF und der EU aufgrund der politischen Krise »ins nächste Jahr verzögert würde«?
Genau diese Ängste versuchen Präsident Basescu und sein Kandidat für den Posten des Regierungschefs zu schüren. Basescu erklärte beispielsweise, daß Rumänien wegen der politischen Auseinandersetzungen die Einstellung der Milliarden-Darlehen von IWF, Weltbank und EU drohe. Noch deutlicher wurde Croitoru, der kurz nach seiner Nominierung drohte: »Wenn wir es nicht schaffen, die zwei kommenden Tranchen des Kredites zu erhalten, inklusive der zwischen Oktober und Dezember fälligen, besteht die Gefahr, daß wir nicht in der Lage sein werden, Löhne und Renten auszuzahlen.« Croitoru scheint nicht nur die »Sprache des IWF« zu sprechen, sondern auch als Stimme des Fonds zu fungieren.