Streit um Gedenken

„Junge Welt“, 01.09.2009
Geschichtspolitische Auseinandersetzungen zwischen Warschau und Moskau zum Jahrestag des Kriegsbeginns

Die Gedenkveranstaltungen zum 70. Jahrestag des Überfalls Nazideutschlands auf Polen sorgen innerhalb der polnischen Öffentlichkeit für hitzige Diskussionen. Neben der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel wird vor allem das Auftreten des russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin mit besonderer Spannung erwartet. Die Bandbreite der Erwartungen innerhalb der verschiedenen politischen Lager und Medien reicht von Befürchtungen eines handfesten diplomatischen Skandals bis zu Hoffnungen auf den Beginn einer geschichtspolitischen Aussöhnung zwischen Polen und Rußland.

Gutes Signal

Allein die Zusage Wladimir Putins, an der Gedenkveranstaltung auf der Westerplatte teilzunehmen, wurde anfangs von weiten Teilen der polnischen Öffentlichkeit begrüßt und als ein positives Signal wahrgenommen. Doch wenige Tage vor Beginn des Jahrestages vergifteten russische Geschichtsreportagen und »Enthüllungen« des russischen Auslandsgeheimdienstes (SWR) die Atmosphäre. Ein am 22. August vom russischen Nachrichtensender Wiesti ausgestrahlter Film unterstellt Polen, einen gegen die Sowjetunion gerichteten Geheimpakt mit Hitlerdeutschland eingegangen zu sein. Am 31. August wollte auch der russische Auslandsgeheimdienst ein Buch veröffentlichen, in dem ähnliche Behauptungen aufgestellt werden – die Pressekonferenz wurde kurzfristig abgesagt.

Der SWR warf Polen vor, in den dreißiger Jahren »aktiv mit Hitlerdeutschland zusammengearbeitet« zu haben und »einem gemeinsamen Krieg gegen die Sowjetunion« nicht abgeneigt gewesen zu sein. Für weitere Empörung sorgte überdies ein Bericht des SWR, laut dem der 1939 als polnischer Außenminister tätige Josef Beck ein deutscher Spion gewesen sein soll. Breites Unverständnis löste diese Anschuldigung vor allem deswegen aus, weil es gerade Beck war, der die deutschen Avancen zur Bildung einer antikommunistischen Allianz Anfang 1939 kategorisch abgelehnt hatte.

Auf polnischer Seite bemühte sich hingegen insbesondere der rechtskonservative Präsident Lech Kaczynski darum, die ohnehin angespannte Stimmung weiter anzuheizen. Gegenüber dem Springerblatt Dziennik kündigte Kaczynski für die Hauptgedenkveranstaltung auf der Westerplatte einen regelrechten »Skandal« an, der durch »die Russen« provoziert sein werde. Polens rechtskonservative Hardliner verlangen vom Kreml nichts weniger als die Übernahme ihres verzerrten Geschichtsverständnisses, demzufolge Nazideutschland und die Sowjet­union zu gleichen Teilen die Schuld am Zweiten Weltkrieg tragen sollen. Die konservative polnische Tageszeitung Rzeczpospolita titelte bereits, der Beginn des deutschen Vernichtungskrieges sei die »Schuld zweier Diktatoren«. Die überwiegende Mehrheit der polnischen Bevölkerung erwartet neuesten Umfragen zufolge hingegen vom russischen Regierungschef vor allem Worte des Bedauerns über den Hitler-Stalin-Pakt.

Dieser Erwartungshaltung kam Putin tatsächlich in einem mit großer Spannung erwarteten »Brief an das polnische Volk« entgegen, der in der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza veröffentlicht wurde. »Zweifellos kann man den Pakt zwischen Ribbentrop und Molotow vom August 1939 mit Fug und Recht verurteilen«, schrieb Putin. Doch vor allem bemühte sich der russische Regierungschef, die gemeinsamen Verdienste aller am Kampf gegen den Faschismus beteiligten Länder hervorzuheben. Polen und Russen seien »Verbündete in dieser gerechten Schlacht« gewesen. Die gemeinsame moralische Verpflichtung der heute Lebenden bestehe darin, »das Haupt zu senken vor den Gefallenen, vor dem Mut und der Tapferkeit der Soldaten verschiedener Länder, die gemeinsam den Faschismus bekämpften und zerschlugen.«

Lob für Putin

Putin ließ es sich auch nicht nehmen, auf die Beschwichtigungspolitik der Westmächte wie auch das kurzsichtige Großmachtstreben Polens in jener Zeit hinzuweisen. Mit dem Münchener Abkommen von 1938, bei dem die Tschechoslowakei mit Einverständnis der Westmächte auf Drängen Hitlers zerschlagen wurde und deren Westgebiete an Nazideutschland fielen, hätten Frankreich und Großbritannien »alle Hoffnungen zunichte gemacht, eine gemeinsame Kampffront gegen den Faschismus zu errichten«. Die polnische Öffentlichkeit erinnerte der russische Premier schließlich daran, daß auch polnische Streitkräfte 1938 in zwei kleinere umstrittene tschechische Grenzregionen einmarschiert wären.

Die ersten Reaktionen polnischer Politiker fielen durchaus positiv aus. Gegenüber der Gazeta Wyborcza erklärte der ehemalige polnische Außenminister Adam Rotfeld, daß Putin sich wie ein »wahrer Staatsmann« verhalten habe. Auch der Marschall des polnischen Sejm, Bronislaw Komorowski, sagte, daß er den Brief Putins mit »enormer Erleichterung« zur Kenntnis genommen habe. Doch die russische Öffentlichkeit erhalte im Moment »Signale, die der Erklärung des Premiers Putin eher widersprechen«, mahnte Komorowski im Hinblick auf die geschichtsrevisionistische Medienkampagne in Rußland.

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