„Junge Welt“, 11.08.2009
BRD und Rußland vertiefen wirtschaftliche Zusammenarbeit. Kleinere Staaten Osteuropas sehen die »neue Freundschaft« mit Besorgnis
Wenn – wie zuletzt Mitte Juli in München – die deutsche Kanzlerin Angela Merkel mit Rußlands Präsident Dmitri Medwedew zu ihren bilateralen halbjährlichen Konsultationen zusammenkommen, dann werden diese Treffen in Washington und in vielen Hauptstädten Mittelosteuropas äußerst skeptisch beäugt. Die sich vertiefende strategische Partnerschaft zwischen der BRD und Rußland wird inzwischen sogar in den US-Mainstream-Medien thematisiert. So berichtete vor kurzem das populäre Wochenmagazin Newsweek über die »New Ostpolitik«, die Berlin gegenüber Moskau betreibe. Einstmals »titanische Feinde«, seien Rußland und Deutschland gerade dabei, »sich in einer Unmenge von Wirtschaftsdeals zu umarmen«, die von einer »gemeinsamen Wiederauferstehung« auf den globalen Nuklearmarkt bis zur »Übernahme eines Großteils des europäischen Imperiums von General Motors« reichten, so das populäre Wochenblatt.
Die Kooperation beider Großmächte erstreckt sich tatsächlich auf zahlreiche Wirtschaftssektoren, die laut Definition des Kreml strategisch bedeutend sind. Seit März verhandeln beispielsweise Siemens und die russische Atomenergiebehörde Rosatom über die Gründung eines Joint Ventures, das sich als ein »Weltmarktführer« (Siemens-Chef Peter Löscher) beim Atommeilerbau etablieren soll. Deutschlands größter Industriekonzern könnte zudem von einem weiteren ehrgeizigen Projekt profitieren, das die Modernisierung der russischen staatlichen Eisenbahngesellschaft vorsieht.
Während Konzerne wie Royal Dutch Shell (NL) und BP (UK) aus dem russischen Energiesektor gedrängt wurden, erhält der deutsche Versorger E.on sogar Zugriff auf das Allerheiligste: Der Düsseldorfer Multi sicherte sich eine Beteiligung von 25 Prozent an dem sibirischen Gasfeld »Juschno Rußkoje« , an dem der halbstaatliche Monopolist Gasprom die Förderrechte hält. Diese Lagerstätte verfügt über Reserven von mehr als 600 Milliarden Kubikmetern und gehört somit zu den größten der Welt. Im Gegenzug mußte E.on knapp die Hälfte seiner Beteiligung an Gasprom veräußern, die nun noch 3,5 Prozent beträgt. Die leicht zu erschließenden russischen Lagerstätten sind bereits erschöpft, jetzt sollen die schwer zugänglichen Erdgas- und Ölfelder ausgebeutet werden. Auch hier hoffen deutsche Konzerne auf lukrative Aufträge.
Das Wachstum der deutsch-russischen Freundschaft wird aber vor allem an der bis 2008 erfolgreich verlaufenden BRD-Exportoffensive ersichtlich – und der damit einhergehenden Expansion des bilateralen Handels beider Volkswirtschaften. So stieg der bilaterale Handel auf ein Volumen von rund 68 Milliarden Euro. Deutschland ist zudem wichtigster Absatzmarkt für russisches Erdgas in der EU. Zum Vergleich: Ende 1998 belief sich das bilaterale Handelsvolumen auf nur 15 Milliarden Euro.
Die Struktur dieser asymmetrischen Partnerschaft dürfte für Rußland auf längere Zeit nachteilig sein: Aus dem Osten kommen Rohstoffe und Energieträger, dorthin werden vor allem technisch hochwertige Industrieprodukte verkauft. An die 5000 deutsche Unternehmen – viele hiervon dem Mittelstand angehörig – sind damit beschäftigt, ihre Produkte auf dem russischen Markt abzusetzen.
Doch führte die Weltwirtschaftskrise und der damit einhergehende Fall der Preise für Rohstoffe und Energieträger auch zu einem Einbruch bei der Handelstätigkeit beider Länder, der jüngsten Prognosen zufolge bis zu 30 Prozent in diesem Jahr betragen könnte. Bei den bilateralen Konsultationen Mitte Juli kamen folglich beide Seiten überein, den stotternden deutschen Exportmotor mit Subventionen wieder zum laufen zu bringen. Deutschland gewährte Rußland einen Kredit in Höhe von 500 Millionen Euro, der für den Kauf deutscher Waren durch russische Unternehmen verwendet werden soll. In München wurde auch eine Fülle weiterer Projekte und Vorhaben diskutiert, wie die Option, Rußland an der europäischen »Nabucco«-Pipeline zu beteiligen, die Etablierung einer gemeinsamen Energieagentur, oder Gründung eines Konsortiums zur Übernahme des ukrainischen Gastransitsystems. Schließlich einigten sich auch beide Seiten, den Bau der geplanten Ostseepipeline zu forcieren, die viele mittelosteuropäische Transitländer wie Belarus oder Polen umgehen soll und folglich auf deren erbitterten Widerstand trifft.
Diese innige Freundschaft zwischen den beiden Staaten weckt in vielen kleineren mittelosteuropäischen Ländern alte Befürchtungen: Das Bündnis zwischen Deutschland und Rußland sei gefährlich für Polen, warnte beispielsweise die Politologin Jadwiga Staniszkis in einem Gespräch mit der polnischen Nachrichtenagentur PAP. Durch die Investitionen deutschen Kapitals im russischen Energiesektor würden auch die politischen Bindungen Berlins mit Moskau immer enger. Außerdem drohe das Szenario »einer zukünftigen Machtfülle Deutschlands, das die gegenwärtige Schwäche Rußlands ausnutzt, um Eigentumsrechte an Erdöl und Gas auf dessen Terrain zu gewinnen«. Die Osteuropäer befürchten schlicht, bei einer innigen deutsch-russischer Umarmung zerquetscht zu werden. Hier liegt auch der Grund für die scheinbar irrationale Bündnistreue vieler osteuropäischer Staaten mit den USA, wie sie beispielsweise im Fall der in Osteuropa geplannten US-Raketenabwehr zum Vorschein kam. Der stellvertretende tschechische Ministerpräsident Alexander Vondra erläuterte diese geopolitischer Positionierung seinerzeit vor der konservativen Heritage Foundation: »Für uns in der tschechischen Republik, die zwischen Deutschland und Rußland liegt, ist die Präsenz eines Radars und einiger amerikanischer Soldaten eine gute Sache.«