Zukunft ungewiß

„Junge Welt“, 15.07.2009
Gaspipelineprojekt Nabucco trotz fehlender Lieferzusagen unter Dach und Fach

Es war eine schwierige energiepolitische Geburt, die da am Montag vollzogen wurde. Nach jahrelangem Stillstand und verbissen geführten Verhandlungen unterzeichneten die Regierungen von vier EU-Ländern und der Türkei in Ankara ein Abkommen für das Pipeline-Projekt Nabucco. An dem Bau der 3300 Kilometer langen Gasleitung, deren Baukosten auf ca. acht Milliarden Euro veranschlagt werden, sind der deutsche Energiekonzern RWE, die österreichische OMV, Ungarns MOL, die rumänische Transgas, der bulgarische Versorger BEH und die türkische Gesellschaft Botas mit jeweils 16,67 Prozent beteiligt. Bis zu 31 Milliarden Kubikmeter kaspischen und nahöstlichen Erdgases soll Nabucco ab 2014 unter Umgehung Rußlands über Aserbaidschan, Georgien und die Türkei bis zur EU befördern. Der Bau der Pipeline soll 2011 beginnen.

Prinzip Hoffnung

Einen der wichtigsten Streitpunkte bei den sich schier endlos dahinziehenden Verhandlungen bildete die Forderung Ankaras, einen Teil des über ihr Territorium beförderten Erdgases für den Eigenverbrauch günstig aufkaufen zu dürfen. Hier scheint sich die Türkei, die bei diesem Projekt eine Schlüsselstellung innehat, durchgesetzt zu haben. Die russische Nachrichtenagentur ITAR-TASS zitierte am 12. Juli den türkischen Energieminister Taner Yildiz, dem zufolge das Land jährlich »nicht weniger als 4,5 Milliarden Kubikmeter durch Nabucco befördertes Erdgas« aufkaufen dürfe.

Ansonsten herrscht bei den Planern dieses ehrgeizigen europäischen Projekts das Prinzip Hoffnung vor – denn es liegen immer noch keine ausreichenden verbindlichen Lieferzusagen vor, mittels derer die Kapazität der Pipeline ausgeschöpft werden könnte. Am vergangenen Sonntag machte beispielsweise der amerikanische Energiesonderbeauftragte Richard Morningstar nochmals klar, daß Wa­shington eine Beteiligung Irans an diesem Projekt derzeit nicht akzeptieren werde. Ähnlich verhielt es sich mit dem Irak, wo ein Liefervertrag zwischen dem Nabucco-Konsortium und der kurdischen Autonomieregierung an dem Widerstand Ankaras und Bagdads vorerst scheiterte. Dennoch setzen die Europäer ihre diesbezüglichen Verhandlungen mit dem Irak fort.

Eine regelrechte Hiobsbotschaft erreichte am 29. Juni die Europäer. Der russische Monopolist Gasprom wird einer an diesem Tag in Baku geschlossenen Absichtserklärung zufolge ab dem nächsten Jahr 500 Millionen Kubikmeter Erdgas – die sich auf bis zu 1,5 Milliarden erhöhen können – aus dem aserbaidschanischen Gasfeld Shah Deniz im Kaspischen Meer jährlich aufkaufen. Auf gerade diese Erdgasquelle haben die Europäer ihre Hoffnungen gesetzt. In der ersten Ausbaustufe des Projekts müssen mindestens zehn Milliarden Kubikmeter Erdgas durch Nabucco jährlich fließen, um das Projekt rentabel zu halten. Nun könnte Aserbaidschan ersten Schätzungen zufolge höchstens 4,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr liefern. Rußland zahlt für diesen geopolitischen Sieg einen hohen wirtschaftlichen Preis, macht doch Gasprom durch den »Weltmarktpreis« von 300 bis 350 US-Dollar, den der russische Gasmonopolist an Aserbaidschan zahlt, enorme Verluste.

Riskante Option

Ihre Bereitschaft, die europäische Pipeline mit Erdgas zu versorgen, erklärten hingegen Ägypten und Syrien. Gute Nachrichten scheinen für das Nabucco-Konsortium auch aus Turkmenistan zu kommen. Kurz vor der Vertragsunterzeichnung in Ankara erklärte der turkmenische Autokrat Gurbanguly Berdymuchammedow sich bereit, eine nicht näher quantifizierte Menge an Erdgas an das Konsortium zu liefern. Unklar ist indes, ob dieses unverbindliche Versprechen an die Europäer nicht wieder nur als ein taktischer Trumpf in Preisverhandlungen zwischen Rußland und Turkmenistan fungieren soll. Derzeit streiten sich Moskau und Aschgabat um Liefermengen und Abnahmepreise für die 40 Milliarden Kubikmeter Erdgas, die Gasprom jährlich aus Turkmenistan bezieht. Zudem ist ein eventueller Transport turkmenischen Erdgases über das Kaspische Meer – der entweder vermittels Gasverflüssigung und Schiffsverkehr oder durch eine eine weitere noch zu bauende Pipeline stattfinden müßte – entweder kostspielig oder rechtlich umstritten, da alle Anrainerstaaten einem Pipelineprojekt zustimmen müßten.

Dennoch scheint insbesondere der deutsche Energiekonzern RWE diese geopolitisch riskante Option ins Auge gefaßt zu haben. Im April konnte RWE einen Abkommen zur Ausbeutung der Gasvorkomen im turkmenischen Sektor des Kaspischen Meeres mit Aschgabat abschließen, die auf rund sechs Billionen Kubikmeter geschätzt werden.

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