„Junge Welt“,
In Moskau wurden sechs Skinheads wegen Mordes an Migranten zu hohen Haftstrafen verurteilt. Zuvor konnten Neonazis in Rußland lange mit milden Urteilen rechnen
Nach Dekaden der Untätigkeit, Verharmlosung und Vertuschung scheinen Rußlands Strafverfolger nun doch verstärkt gegen neofaschistische Kräfte vorzugehen. Symptomatisch hierfür ist ein am vergangenen Donnerstag gegen sechs Moskauer Skinheads gefälltes Urteil. Die Männer hatten im Juni 2007 einen aus der Kaukasusrepublik Dagestan stammenden Mann getötet und einen weiteren schwer verletzt. Sie bekamen Haftstrafen von siebeneinhalb bis 19 Jahren. Verschärfend wirkte laut Gericht, daß sie »sich als Vertreter der russischen Nationalität höherwertig« glaubten.
Im Dezember 2008 waren bereits sieben Mitglieder einer neofaschistischen Jugendbande wegen 19 Morden und zwölf versuchten Morden zu Haftstrafen zwischen sechs und 20 Jahren verurteilt worden. Zuvor waren neofaschistische Mörder in Rußland jahrelang meist mit milden Urteilen davongekommen. So war am 9. Februar 2004 in St. Petersburg die aus Tadshikistan stammende neunjährige Khurscheda Sultonowa von einer Bande russischer Skins zu Tode geprügelt worden. Die Täter wurden gefaßt und wegen »Rowdytums« zu gerade mal fünf Jahren verurteilt. Inzwischen greift die russische Justiz härter durch. Eine Haftstrafe von ebenfalls fünf Jahren müssen ab dem 4. Juni zwei Skins aus dem südrussischen Orenburg absitzen, die eine Synagoge verwüstet hatten. In Nowosibirsk hingegen wurde der Gründer der dortigen neofaschistischen »Weißen Bruderschaft«, die etliche brutale Überfälle auf Ausländer angezettelt hatte, in einem Gerichtsverfahren für geistig minderbemittelt erklärt und in eine Nervenheilanstalt eingewiesen.
Mittlerweile geraten auch die Führungsfiguren der russischen Neonazis ins Visier der Ermittler. Alexander Potkin, Chef der »Bewegung gegen illegale Immigration« (DPNI), der wichtigsten neofaschistischen Formation Rußlands, mußte sich im Mai vor Gericht verantworten. Er erhielt eineinhalb Jahre auf Bewährung wegen »beleidigender Äußerungen über Juden und die Bewohner des Kaukasus und Zentralasiens« während einer Demonstration im November 2007. Beobachter gehen davon aus, daß der Kreml aufgrund der Weltwirtschaftskrise bemüht ist, die extreme Rechte ernsthaft zu schwächen, um so einen potentiellen Unruheherd auszuschalten. Die Zeiten, in denen die Moskauer Stadtverwaltung Ordnungskräfte zum Schutz einer genehmigten Kundgebung anläßlich Hitlers Geburtstags abstellt, wie es noch 2007 der Fall war, scheinen jedenfalls vorbei zu sein.
Dennoch wirkt die Neonazihetze gegen Migranten. Der Haß auf aus dem Kaukasus oder Zentralasien stammende »Wirtschaftsflüchtlinge« ist verbreitet, Übergriffe an der Tagesordnung. Bei einer 2008 durchgeführten internationalen Umfrage erklärten nur 37 Prozent der befragten Russen, daß es »sehr wichtig« sei, Menschen verschiedener Ethnien gleich zu behandeln. Dies war im Vergleich der 16 in der Erhebung des Meinungsforschungsinstituts World Public OpiÂnion berücksichtigten Länder der niedrigste Wert. Der lag im Schnitt bei 69 Prozent, wobei Mexiko und China mit über 90 Prozent die höchsten Zustimmungswerte zu dieser Frage aufwiesen.
Es verwundert somit kaum, daß das Moskauer Sova-Zentrum immer mehr Todesopfer neofaschistischer Gewalt erfassen muß. Nach Angaben dieser antirassistischen Organisation verdoppelte sich deren Zahl von 49 im Jahr 2005 auf 97 im vergangenen Jahr. Immerhin: Die Zahl der nicht tödlichen Übergriffe ging laut Sova innerhalb eines Jahres von 605 (2007) auf 434 (2008) zurück.