Der Rostgürtel wächst

„Junge Welt“, 05.06.2009
Vom industriellen Kernland zum Krisengebiet: Insolvenz von General Motors dürfte soziale Verfallstendenzen im Nordosten der USA befördern

Mit dem am vergangenen Montag eingeleiteten Insolvenzverfahren gegen General Motors (GM) geht eine über hundertjährige Ära amerikanischer Wirtschaftsgeschichte ihrem Ende entgegen. Am 16. September 2008 feierte der einstmals größte Fahrzeughersteller der Welt sein 100jähriges Jubiläum. Die nun eingeleitete Insolvenz dürfte als die bislang größte in die US-Geschichte eingehen. Im Kern handelt es sich hierbei um ein Umstrukturierungsverfahren, bei dem die Erhaltung von Unternehmensteilen Priorität genießt. 90 Tage soll General Motors Gläubigerschutz genießen. Während dieser Zeit sollen die überlebensfähigen Teile zu einem neuen Unternehmen geformt werden – der Rest wird abgewickelt.

In seinem Insolvenzantrag gab GM an, über Vermögenswerte von 82,3 Milliarden US-Dollar zu verfügen, denen Schulden von 172,8 Milliarden gegenüberstehen. Die Mehrheit der GM-Gläubiger erklärte sich am Wochenende bereit, ihre ausstehenden, faulen Kredite gegen Anteile am künftigen restrukturierten Unternehmen auszutauschen. Laut New York Times sollen sie zunächst zehn Prozent der Aktien von »New-GM« erhalten, die später um weitere 15 Prozent aufgestockt werden könnten. Mit 60 Prozent werden die USA Mehrheitseigentümer, gefolgt von der Gewerkschaft United Auto Workers (17,5 Prozent) und Kanada (zwölf Prozent).

Der amerikanische Steuerzahler wird im Rahmen dieser Umstrukturierung nochmals 30 Milliarden US-Dollar aufbringen, so daß sich die gesamten an GM seit Krisenausbruch gezahlten Staatshilfen auf 50 Milliarden summieren dürften. Die Regierung Kanadas verpflichtete sich, weitere Beihilfen in Höhe von 9,5 Milliarden US-Dollar zu leisten.

Inzwischen sind die Umrisse des anstehenden Kahlschlags erkennbar. Die Produktion der Marken Chevrolet und Cadillac soll aufrechterhalten werden, während die Fertigung von PKW der Marke Saturn, des monströsen Geländewagens Hummer wie auch das schwedische Tochterunternehmen Saab abgestoßen werden sollen. Für den Hummer fanden sich bereits chinesische Käufer. Das Aus droht auch der Traditionsmarke Pontiac.

Im Zuge der Roßkur sollen weltweit an die 35000 Arbeitsplätze verschwinden gehen, übrig blieben weniger als 200000. Laut New York Times müssen vor allem gewerkschaftlich Organisierte gehen. Mehr als 20000 Mitglieder der UAW könnten sich demnach bald auf der Straße wiederfinden, was bei einem »mit der Gewerkschaftsbewegung verbündeten demokratischen Präsidenten« nicht realisierbar wäre, so das Ostküstenblatt. Zudem muß die Gewerkschaft die Hälfte ihres Krankenversicherungsfonds, ursprünglich 20 Milliarden US-Dollar wert, gegen Aktien tauschen. Außerdem gebe es Überlegungen, »zwölf bis 20 Fabriken« zu schließen. Das Händlernetz soll massiv ausgedünnt werden, nahezu 40 Prozent aller 6000 GM-Autohäuser könnten betroffen sein. Schätzungen der Agentur MarketWatch zufolge würden an die 250000 Menschen aufgrund der Insolvenzen von GM und Chrysler ihre Arbeit verlieren.

Tatsächlich findet in der nun anlaufenden GM-Insolvenz eine seit Jahrzehnten schwelende soziale Krise ihren vorläufigen Kulminationspunkt. Die amerikanische Stammbelegschaft von General Motors ist von 620000 im Jahr 1979 auf derzeit 120000 geschrumpft. Bereits jetzt wird ein Großteil des Nordostens der USA als »Rust Belt« – Rostgürtel – bezeichnet. Das Symbol dieser durch Rationalisierungen und Betriebsverlagerungen deindustrialisierten Region bildet Detroit, einstiges Zentrum der amerikanischen Autoindustrie und Sitz der GM-Zentrale. Seit den 80ern ist Detroit um über ein Viertel auf knapp 900000 Einwohner geschrumpft, von denen jeder Dritte in Armut lebt. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 22 Prozent. Viele der verfallenen und verlassenen Straßenzüge machen diese einstmals pulsierende Metropole zu einer wahren Geistergroßstadt, in der Verelendung, Abwanderung und soziale Desintegration mit einer hohen Kriminalitätsrate einhergehen.

Der nun bei GM anstehende Kahlschlag dürfte in vielen US-Städten ähnliche Verfallstendenzen befördern. Besonders hart ist der Bundesstaat Michigan betroffen, wo die Hälfte der anvisierten Fabrikschließungen stattfinden soll. Dabei weist dieses ehemalige industrielle Herzland der USA bereits jetzt mit 12,9 Prozent die höchste Arbeitslosigkeit aller US-Bundesstaaten auf. Weiterer Schließungen sind in Indiana, Ohio, Delaware, Tennessee und Virginia geplant.

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