Nicht in Feierlaune

„Junge Welt“, 09.04.2009

Polens Eliten wollten am 4. Juni in Gdansk den Sieg über den Kommunismus begehen. Solidarnosc hatte anderes vor, und die Regierung verlegte die Fete nach Krakow

Polens Eliten wollten am 4. Juni in Gdansk so richtig auf den Putz hauen. Dutzende Staats- und Regierungschefs aus aller Welt sollten an die Geburtsstätte der antikommunistischen Gewerkschaft »Solidarnosc« gekarrt werden. Angesagt ist das Stück »20. Jahrestag des Sieges über den Kommunismus«. Die gemäß der Vereinbarungen des polnischen »Runden Tisches« am 4. Juni 1989 abgehaltenen Wahlen zum X. polnischen Sejm gelten in der hiesigen Geschichtsschreibung inzwischen als das offizielle Ende des real existierenden Sozialismus zwischen Oder und Bug.

Allerdings gibt es Probleme mit der Kulisse. Den wichtigsten Akteuren der Solidarnosc, den polnischen Werftarbeitern, ist nicht nach Feiern zumute. Zwei polnische Schiffbaubetriebe in Gdynia und Szczecin wurden bereits auf Betreiben der EU-Kommission in den Bankrott getrieben, um die europäischen Überkapazitäten in dieser Branche abzubauen. Als Vorwand dienen staatliche Subventionen, die Polens Werften seit 2004 erhalten haben. Diese sollen nach EU-Willen zurückgezahlt werden, was gleichbedeutend mit einer Pleite der betroffenen Betriebe ist.

Nun scheint auch die verbliebene Werft in Gdansk auf der Abschußliste Brüssels zu stehen. Sie soll ca. 75 Millionen Euro zurückzahlen. Nachdem Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes Ende April einen ersten Restrukturierungsvorschlag abgelehnt hatte, darf Warschau bis Mitte Mai einen zweites, »verbessertes« Konzept vorlegen. Die Gewerkschaftler der Gdnsker Werft befürchten, daß dies alles auf einen radikalen Arbeitskräfteabbau hinauslaufen werde: »Die Realisierung dieses Projekts bedeutet auch eine ungeheure Anzahl an Entlassung von Mitarbeitern; dies ist für die ganze Belegschaft äußerst ungünstig«, empörte sich der »Solidarnosc«-Chef in der Werft, Roman Galczewski. Zudem ist es nicht ausgeschlossen, daß auch dieser letzte Schiffbaubetrieb Polens gänzlich liquidiert wird.

Keine strahlenden Sieger

Ihre Wut wollen Polens Schiffbauer nun ausgerechnet am 4. Juni auf die Straße tragen. »Solidarnosc« meldete eine Demonstration zum berühmten »Denkmal der gefallenen Werftarbeiter« an, das eine Dekade nach den Unruhen von 1970 errichtet wurde. Genau an diesem symbolträchtigen Platz wollte Polens Regierung ein mediale Großveranstaltung organisieren, bei der sich Spitzenpolitiker aus Europa »mit der Jugend« treffen, um den Fall des Kommunismus zu bejubeln.

Die Gewerkschaftler aus demselben Schiffbaubetrieb, der 1980 noch unter dem Namen »Lenin-Werft« zu der Geburtsstätte der »Solidarnosc« zählte, kündigten an, diese Feierlichkeiten behindern zu wollen. »Heute verlieren diejenigen, die für die ›Solidarnosc‹ kämpften, ihre Arbeit. Wir wollen nicht, daß von diesem Denkmal nun eine Wahlkampfshowveranstaltung vor den Wahlen stattfindet«, erklärte der Vizevorsitzende der Solidarnosc der Werft, Karol Guzikiewicz. Polens Regierungschef Donald Tusk kündigte daraufhin an, die Feierlichkeiten nach Krakow verlegen zu wollen – wohl in der Hoffnung, daß es dort 2009 genauso ruhig bleibt, wie es auch 1989 der Fall war.

Frische Erfahrungen bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften konnten die Schiffbauer aus Gdansk bereits am 29. April während einer Demonstration in Warschau sammeln. 30 Arbeiter mußten in lokale Krankenhäuser eingeliefert werden – drei von ihnen auf die Intensivstation – , nachdem die Polizei mit äußerster Brutalität gegen die Demonstranten vorgegangen war, die vor einem Kongreß der EU-Vereinigung Europäische Volkspartei im Warschauer Kulturpalast gegen die Werftenschließungen protestieren wollten.

Harte Folgen der Krise

Trotz dieser Repression scheinen erste Ansätze einer breiteren Protestbewegung gegen die Krisenfolgen aufzukeinem. Der für Bergbau und Energie zuständige Solidarnosc-Sekretär Kazimierz Grajcarek kündigte an: »Wir sind bereit, nicht nur die Werftarbeiter zu unterstützen, sondern alle Arbeiter, die sich um ihre Arbeitsplätze sorgen, sowie all jene, die sie bereits verloren haben.« Vor allen kleinere und radikale Arbeiterorganisationen nutzen die gegenwärtige Krise zur Profilierung und setzten die etablierten Organisationen unter Druck. So mobilisiert die Gewerkschaft OZZ Inicjatywa Pracownicza (Arbeiterinitiative) für den 4. Juni ebenfalls nach Gdansk zu einer antikapitalistische Demonstration unter dem Motto »Marsch der Betrogenen«. Auch die Gewerkschaft »Sierpien 80« (August 80) trat mit spektakulären Aktionen in Erscheinung. Aktivisten dieser Organisation gelang es, die Abgeordnetenbüros der polnischen Regierungspartei Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) in sechs polnischen Städten zu okkupieren. Darunter war auch das Abgeordnetenbüro von Premier Tusk in Gdansk.

Inzwischen greift die Krise auch in Polen um sich. Prognostizierte die Regierung Tusk Anfang des Jahres noch ein knappes Wirtschaftswachstum für 2009, so rechnete die EU-Kommission nun auch hier mit einem schrumpfenden Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 1,4 Prozent. Die offizielle Arbeitslosenquote ist inzwischen auf nahezu zwölf Prozent gestiegen. In besonders stark deindustrialisierten Regionen, wie beispielsweise in Masuren, erreicht die Erwerbslosigkeit schon wieder beinahe 20 Prozent. Einer kürzlich publizierten Umfrage zufolge spüren inzwischen 89 Prozent aller polnischen Betriebe die Auswirkungen der Krise, von denen sogar ein Drittel sich in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht sieht. Der Bausektor, der als ein wichtiger Konjunkturmotor fungierte, ist erstarrt. Nach Angaben der Föderation des Immobilienmarktes (Polska Federacja Rynku Nieruchomocci) liegt die Nachfrage nach »Objekten hoher Qualität bei null«. Auch die Kapitalflucht nimmt zu. An die 19 Milliarden US-Dollar sind aus dem Markt für polnische Staatsanleihen im vergangenen Jahr abgezogen worden. »Polen könnte zukünftig Probleme haben, seine Staatsanleihen verkaufen zu können«, warnte der Ökonom Ernest Pytlarczyk gegenüber der Tageszeitung Rzeczpospolita. Dabei wäre Warschau gerade jetzt auf liquide Finanzmärkte angewiesen. Soll das Haushaltsdefizit doch laut Berechnungen der Europäischen Kommission in diesem Jahr auf 6,6 Prozent des BIP steigen.

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