„Junge Welt“, 29.04.2009
Tschechische Neofaschisten setzen in der Krise auf Rassismus und schrecken nicht vor Mord zurück. Vorbild sind die deutschen »Kameraden«
Tschechiens Neonazis machen mobil – mit deutscher Unterstützung. Am 18. April versammelten sich im nordböhmischen Usti nad Labem etwa 400 Faschisten, um in einem »Trauermarsch« der Bombardierung dieser Stadt im April 1945 durch Flugzeuge der Anti-Hitler-Koalition zu »gedenken«. Neben Anhängern der tschechischen »Autonomen Nationalisten« und Mitgliedern der offiziell verbotenen Nazibande »Narodni Odpor« (Nationaler Widerstand) rotteten sich auch deutsche, slowakische und ungarische Neonazis in Usti nad Labem zusammen. Ein Großaufgebot von über 1000 Polizisten schirmte die Faschisten – über 100 davon aus Deutschland – ab und ging mit massiver Gewalt gegen linke Gegendemonstranten vor, die sich bemühten, die Marschroute der Nazis zu blockieren. Die Polizei sei »nur gegen Antifaschisten« mit äußerst »rauhen Methoden« vorgegangen, resümierten Reporter der Roma-Nachrichtenagentur Romea.
Dieser braune Umzug in der nordböhmischen Stadt hatte den alljährlich am Jahrestag der Bombardierung Dresdens abgehaltenen faschistischen »Gedenkmarsch« zum Vorbild, an dem in diesem Jahr tschechische Nazis teilnahmen. Die deutschen »Kameraden« reisten hauptsächlich aus Sachsen und Bayern an. Ein Konfliktpunkt zwischen deutschen und tschechischen Neofaschisten war früher die Haltung zu den Benes-Dekreten, doch dies scheint vorerst ausgeräumt. »Narodni Odpor« erklärte in einem kürzlich veröffentlichten »Manifest«, diese Dekrete, auf deren Grundlage die Umsiedlung der Sudetendeutschen aus der westlichen Tschechoslowakei durchgeführt wurde, nicht mehr anzuerkennen.
Der Haß auf das mit »dem Juden« identifizierte Finanzkapital, der Rassismus und eine reaktionäre, völkische EU-Feindschaft bilden hingegen die inhaltlichen Klammern der grenzüberschreitenden Annäherung. Am 24. April meldete der Fernsehsender Nova, daß tschechische und deutsche Rechtsextremisten ein formelles Bündnis geschlossen haben. Ein Polizeisprecher kommentierte diese Entwicklung gegenüber dem Fernsehsender mit den Worten: »Der Dilettantismus geht zu Ende, die Professionalisierung beginnt.« Die tschechischen Neofaschisten suchten »Inspirationen« bei den deutschen Neonazis, sie hätten nun ebenfalls »Rechtsanwälte und Manager«.
Welch mörderische Konsequenzen diese »Professionalisierung« nach sich ziehen dürfte, wurde nur wenige Stunden nach dem Neonaziaufmarsch in der Nacht vom 18. zum 19. April im osttschechischen VÃtkov offenbar. Bei einem Brandanschlag auf ein von Roma bewohntes Haus wurden drei Menschen zum Teil schwer verletzt. Unter den Opfern befindet sich ein zweijähriges Mädchen, das lebensgefährliche Verbrennungen erlitten hat. Die Täter htten die Wasserleitung gekappt und danach durch alle vier Fenster des Hauses Brandsätze geschleudert. Dieser brutale Anschlag löste unter den tschechischen Roma eine Welle der Empörung aus. Für den 3. Mai planen sie landesweite Demonstrationen. Zudem werden erste Rufe nach der Bildung von Selbstschutzeinheiten laut, die in »Kooperation mit der Polizei und lokalen Autoritäten« agieren sollen, wie Romea meldete.
Diese Eskalation liegt ganz im Kalkül der größten tschechischen Nazigruppierung, der »Arbeiterpartei« (Delnická strana – DS). Schon seit Monaten ist sie bemüht, mit provokanten Aufmärschen durch von Roma bewohnte Stadtteile rassistische Ressentiments zu schüren. Mitte November lieferten sich etwa 700 tschechische Nazis eine Straßenschlacht mit der Polizei, als sie in LitvÃnov in den vor allem von Roma bewohnten Stadtteil Janov einzudringen versuchten. Weitere »Patrouillen« durch Janov organisierten die Rechten Ende Januar. Am 25. Februar riefen sie in LitvÃnov sogar ihren eigenen »Schattenbürgermeister« aus. Inzwischen organisiert die DS nahezu im Wochenrhythmus Aufmärsche. Auch im Vorfeld der Demonstration in Usti nad Labem veranstaltete die Partei in drei böhmischen Städten rassistische Kundgebungen gegen die Roma. Und selbst nach dem bestialischen Brandanschlag von VÃtkov provozieren die Faschisten weiter.
Mit ihrer Vorgehensweise orientiert sich die DS an der ungarischen Nazipartei Jobbik, die mit provokativen Aufmärschen und rassistischer Hetze erfolgreich die ungarischen Roma zu Sündenböcken in der sich verschärfenden Wirtschaftskrise stempeln konnte. Diese Taktik scheint auch in Tschechien aufzugehen. Während die »Arbeiterpartei« bei den Komunalwahlen 2004 gerade mal 1900 Stimmen erhielt, waren es 2008 bereits knapp 29000. In einigen Regionen konnten die Rechten die Partei der Grünen überflügeln.
Aber es gibt auch Widerstand: Am 27. April blockierten etwa 500 Roma friedlich einen Neonaziaufmarsch in Krupka na Teplicku, ohne sich von den Neonazis in Auseinandersetzung verwickeln zu lassen.