„Junge Welt“, 02.03.2009
Berufsvertriebene Steinbach belastet mit Dauerprovokation Beziehungen zwischen Warschau und Berlin
Die seit Wochen andauernden Spannungen zwischen Deutschland und Polen haben sich auch am Wochenende nicht gelegt. Nach dem freitäglichen Treffen zwischen dem polnischen RegierungsÂchef Donald Tusk und seiner deutschen Amtskollegin Angela Merkel in Hamburg überboten sich Polens Medien mit Meldungen über einen bevorstehenden Rückzug der führenden deutschen Berufsvertriebenen Erika Steinbach (CDU) aus dem Stiftungsrat des in Berlin geplanten »Zentrums gegen Vertreibung«. Doch gegenüber der Welt am Sonntag machte die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, die in Polen als Verkörperung des deutschen Revanchismus gilt, klar, daß sie an einen Rückzug nicht denke. »Der Verband hat mich nominiert, und ohne das Votum des Verbandes werde ich keine Entscheidung treffen«, so Steinbach.
Damit dürfte das Tauziehen zwischen Berlin und Warschau in eine neue Runde gehen. Die neuerlichen deutsch-polnischen Verwerfungen sind nach einem Besuch des Deutschlandbeauftragten der Regierungs Tusk in Berlin, Wladyslaw Bartoszewski, voll ausgebrochen. Im Vorfeld seiner Mitte Februar absolvierten Deutschlandvisite hat der in Polen hochgeachtete Widerstandskämpfer und Auschwitz-Überlebende die Beteiligung Steinbach am Berliner »Vertriebenenzentrum« scharf kritisiert: eine Mitwirkung Steinbachs im Gründungsrat des Zentrums sei so, als ob der »Papst den Holocaust-Leugner Bischof Williamson zum Beauftragten für die Beziehungen mit Israel ernannt hätte«. Polen müßte in einem solchen Falle erkennen, daß er sich mit seiner Aussöhnungspolitik gegenüber Berlin »geirrt« habe.
Die polnische Regierung ist mit einer konsequenten Haltung in dieser Frage bemüht, einen gänzlichen Zusammenbruch ihrer auf Versöhnung setzenden Deutschlandpolitik zu vermeiden. Während die rechtskonservative Vorgängeradministration um Jaroslaw Kaczynski die Realisierung dieses geschichtsrevisionistisches Vorhabens in Berlin rundweg ablehnte, gab die Regierung Tusk diesen Widerstand auf. Polen zog sich auf den Standpunkt einer »wohlwollenden Neutralität« zurück und vergaß auch nicht, die für eine solche Entspannung notwendigen personellen Konsequenzen in Ministerien und Stiftungen zu ziehen. Im Gegenzug erwartete Tusk vor allem, daß Erika Steinbach von der politischen Bildfläche verschwindet.
Als Bundeskanzlerin Angela Merkel während der Münchener Sicherheitskonferenz Anfang Februar mitteilte, daß es nicht gelungen sei, Steinbach zu einem »Verzicht auf einen Sitz im Rat der Vertriebenen-Stiftung zu bewegen«, wertete Warschau dies als offenen Affront. Zudem sind die regierenden Rechtsliberalen besorgt, daß der von Berlin ausgelöste Bruch dieser inoffiziellen Vereinbarung den nationalistischen und rechtskonservativen Kräften in Polen erneut Auftrieb verschaffen könnte. Einer Beteiligung Steinbachs an dem Berliner Vertriebenenzentrum käme einem Fiasko der polnischen Deutschlandpolitik und einem Wahlgeschenk für die Partei »Recht und Gerechtigkeit« der Kaczynski-Zwillinge gleich.
Daß Steinbach in Polen als unzumutbar gilt, hat seinen Hintergrund. Anfang der 90er Jahre stimmte sie im Bundestag gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Auch die Aufnahme Polens in die EU hatte sie in Frage gestellt. Darüber hinaus sorgen Steinbachs regelmäßig geäußerten geschichtsrevisionistischen Bemerkungen für Empörung, denen Zufolge das von Nazi-Deutschland überfallene und mit unvorstellbaren Massenterror überzogene Polen sich gegenüber den nach Kriegsende umgesiedelten Deutschen »schuldig« gemacht haben soll. »Sie kam mit Hitler, und sie mußte mit Hitler wieder gehen«, erläuterte jüngst Polens Außenminister Sikorski den zweifelhaften Status der Berufsvertriebenen Steinbach, die als Tochter eines aus Westdeutschland stammenden, 1941 in den »Reichsgau Danzig-Westpreußen« beorderten Besatzungssoldaten der Wehrmacht 1943 zur Welt kam.