„Junge Welt“, 28.01.2008
Washington relativiert seine europäischen Raketenabwehrpläne
Wenn Zbigniew Brzezinski polnischen Medien ein Interview gewährt, dann kann er sich eines breiten Medienechos gewiß sein. Der polnischstämmige ehemalige Sicherheitsberater von US-Präsident James Carter, der als einer der eigentlichen Architekten des Afghanistan-Krieges in den achtziger Jahren gilt, erfreut sich vor allem unter Polens Eliten einer großen Beliebtheit. Inzwischen als außenpolitischer Berater von Präsident Obama tätig, verfügt der oftmals als »graue Eminenz« amerikanischer Geopolitik titulierte Politiker immer noch über einen gewissen Einfluß. Am Montag erläuterte er in einem Radiointerview die Haltung der Obama-Administration bezüglich der in Polen und Tschechien geplanten Raketenabwehr.
Brzezinski empfahl Polen, in dieser Frage eine »ruhige und abwartende« Haltung einzunehmen, da das Projekt einer »Verzögerung« unterliegen könne. Vor allem der US-Kongreß bleibe gegenüber den Plänen einer Raketenabwehr in Osteuropa weiterhin skeptisch, und er glaube nicht, daß angesichts der Finanzkrise die amerikanischen Parlamentarier geneigt seien, »eine solch kostspielige Party zu finanzieren«, erklärte Brzezinski salopp. Vielleicht gelänge es, den Kongreß zu einem Kompromiß zu bewegen, der auf eine substantielle Verringerung der Finanzmittel hinauslaufen würde, was laut Brzezinski »den ganzen Prozeß« des Aufbaus der Raketenabwehr hinauszögern würde.
Die russische Außenpolitik bezeichnete Brzezinski als einen weiteren wichtigen Faktor, der die Haltung der neuen US-Administration bezüglich der Raketenabwehr bestimmte. Sollte Rußlands Politik weiterhin so »aggressiv« sein wie bisher, könnte sich demnach der Aufbau des Raketensystems beschleunigen. Doch sollte Moskau »versöhnlicher« gegenüber den USA agieren, seien auch »andere Lösungen« möglich. Der Aufbau der Raketenabwehr hänge vom »Ausmaß der Dummheit oder Intelligenz« der russischen Regierung ab. Die neue US-Regierung sei laut Brzezinski nun bestrebt, Rußland zur weiteren Zusammenarbeit mit der »euroatlantischen Gemeinschaft« zu bewegen.
Schließlich überbrachte Brzezinski der Regierung in Warschau die eigentliche Hiobsbotschaft: »Polen hat weder reale Argumente noch Mittel, um die US Administration zur Einhaltung des Vertrages zu bewegen, sollte dieser nicht realisiert werden«. Die polnische Regierung hatte während des Georgien-Krieges übereilt den Raketenabwehr-Stationierungsvertrag mit der scheidenden Bush-Administration abgeschlossen. Dieser Schritt löste heftige Reaktionen seitens Moskaus aus, das den Raketenabwehrkomplex als eine Bedrohung seiner nuklearen Abschreckungsfähigkeit wahrnimmt. Rußland drohte unter anderem an, rund um Kaliningrad Raketen aufzustellen, die die geplante US-Militärbasis in Nordpolen binnen weniger Minuten erreichen könnten.
Polens Medien waren damals bestrebt, die aufkommenden Befürchtungen innerhalb der polnischen Bevölkerung mit der Versicherung einer »unverbrüchlichen Bündnistreue« der Vereinigten Staaten gegenüber Polen zu zerstreuen. So sollten Warschau Luftabwehrsysteme des Typs Patriot geliefert werden und »amerikanische Kampfflugzeuge Polen innerhalb weniger Minuten nach einem Angriff zu Hilfe eilen«. Der polnischstämmige Brzezinski schien der Obama-Administration wohl als der geeignete Bote, um diesen Hoffnungen der polnischen Regierung einen Dämpfer zu verpassen.