Auf nach Osten

„Junge Welt“, 16.12.2008
Brüssel entwickelt Strategie für postsowjetischen Raum. Per Assoziationsabkommen ran an Rußlands Grenzen

Brüssel will sich künftig wesentlich stärker im postsowjetischen Raum engagieren als bisher. Im Rahmen eines »Osteuropäischen Partnerschaftsprogramms« sollen sechs ehemalige Sowjetrepubliken – Ukraine, Georgien, Arme­nien, Aserbaidschan, Moldawien und Belarus – enger »an die Europäische Union herangeführt« werden. Den genannten Staaten werden umfangreiche Assoziationsabkommen angeboten. Eine EU-Vollmitgliedschaft indes schloß Brüssels Kommissionspräsident José Manuel Barroso – vorläufig – aus: »Wir können keine Beitrittsperspektive anbieten«, beteuerte er anläßlich der Ankündigung des Partnerschaftsprogramms Anfang Dezember.

»Enge Beziehungen«

Die Realisierung dieser Oststrategie der EU gilt als einer der Schwerpunkte der kommenden, tschechischen Ratspräsidentschaft, die das Projekt auf einem für Anfang April angesetzten Gipfel in Prag offiziell initiieren will. In einem am 3. Dezember veröffentlichten Kommuniqué umriß die Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner die geopolitische Stoßrichtung des Partnerschaftsprogramms. Demnach habe die »Situation in Osteuropa und im Südkaukasus Auswirkungen auf die Sicherheit und Stabilität der EU«, weswegen eine »aktive und klare Politik« gegenüber dieser Region anzustreben sei. Die Länder dieser Region sollen bei der Ausbildung »enger Beziehungen« unterstützt werden.

Brüssel plant nun, zwischen 2010 und 2013 an die 600 Millionen Euro für das Ost-Projekt aufzuwenden – dies sind immerhin 350 Millionen Euro mehr, als ursprünglich geplant. Im Zentrum der Assoziationsabkommen, die Brüssel jedem der besagten Länder anbieten wird, stehen umfangreiche Vorschläge zur Errichtung von Freihandelszonen. Angestrebt wird eine »allmähliche Integration« der Volkswirtschaften der Partnerländer in die EU-Wirtschaft, einschließlich rechtlich bindender Verpflichtungen zur »Angleichung der Rechtsvorschriften.« Die EU stellt überdies Reiseerleichterungen in Aussicht, wobei sogar eine selektive Öffnung des EU-Arbeitsmarktes diskutiert werden soll. Die Assoziationsabkommen sollen außerdem Maßnahmen zur »Energieversorgungssicherheit« beinhalten. Der Annäherungsprozeß solle aber vor allem mit politischen »Reformbemühungen unserer Partner« einhergehen, stellte Ferrero-Waldner klar.

Die treibenden Kräfte hinter dieser nun forcierten EU-Ostexpansion sind in Warschau, Stockholm, und auch – nicht ganz so exponiert – in Berlin zu finden. Die Idee einer Ostpartnerschaft wurde ursprünglich maßgeblich von der deutschen Regierung entwickelt, sie galt als ein Gegenkonzept zu der von Frankreich und den Mittelmeeranrainerstaaten der EU forcierten »Mittelmeerunion«, die die Stoßrichtung europäischer Expansion hauptsächlich in den Süden lenken wollen. Folglich war Paris auch der wichtigste Gegner des umfangreichen Osteuropäischen Partnerschaftsprogramms – doch bröckelte vor dem Hintergrund des Südossetien-Kriegs der französische Widerstand.

Männerfreundschaft

In Brüssel werde kein Geheimnis daraus gemacht, daß die »Ereignisse im Kaukasus und Michail Saakaschwilis Handlungen die EU zu einer beschleunigten Ausarbeitung des Programms bewogen haben«, konstatierte die russische Nachrichtenagentur RIA-Nowosti. Das EU-Ostprogramm könne sogar als ein Ersatz für die zurückgestellte Aufnahme der Ukraine und Georgiens auf die NATO-Beitrittsagenda angesehen werden. Deren Präsidenten Juschtschenko und Saakaschwili müßten ja »irgendwie ermuntert werden«, so RIA-Nowosti.

Begleitet wird diese Wiederbelebung des europäischen »Drangs nach Osten« von einer Annäherung zwischen Berlin und Warschau, für die wiederum eine zwischen Polens Außenminister Radoslaw Sikorski und seinem deutschen Amtskollegen Hans-Walter Steinmeier erblühende Männerfreundschaft charakteristisch ist. Bei mehreren, in nahezu familiärer Atmosphäre stattfindenden Treffen beider Politiker konnten Gemeinsamkeiten ausgelotet werden, die in »eine Reihe neuer Initiativen« mündeten. Deren wichtigste, so die Tageszeitung Die Welt (6.12.), betreffen »die östliche Nachbarschaft«.

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