Wer rettet wen?

„Junge Welt“, 03.06.2009
Der angeschlagene russische Automobilkonzern GAS will durch indirekten Einstieg bei Opel auch die eigenen Produktionskapazitäten auslasten. Hauptrisiko trägt der deutsche Staat

Liegt Opels Zukunft im Osten? Diesen Eindruck könnte gewinnen, wer den jüngsten Äußerungen des russischen Regierungschefs Glauben schenken mag. Das Kabinett in Moskau unterstützt laut Wladimir Putin den Einstieg der Sberbank und des österreichisch-kanadischen Autozulieferers Magna bei Opel: »Wir hoffen darauf, daß Magna sein Engagement in Rußland ausbauen wird«, bekräftigte Putin am Montag während eines Treffens mit dem Sberbank-Vorstandsvorsitzenden German Gref, dem Magna-Chef Siegfrid Wolf und dem russischen Industrieminister Viktor Christenk. Obwohl die Regierung laut Putin »nicht unmittelbar an diesem Geschäft beteiligt« sei, begrüße sie die Aktivitäten »unserer vom Staat geführten Bank vor allem deshalb, weil dieses Geldinstitut einer der größten Gläubiger der russischen Automobilindustrie ist«. Die ins Auge gefaßte Beteiligung an Opel durch die Sberbank solle in »die Strategie der Entwicklung der Auto­mobilindustrie integriert« werden, erläuterte der Premier: »Für uns ist das wichtig, weil dieser Deal sich auf die russischen Verbraucher und die Produzenten in Rußland auswirken wird.«

Der vorläufigen Abmachung zufolge solle die Sberbank 35 Prozent an Opel übernehmen, Magna erhält einen Anteil von 20 Prozent, während der nach seiner Insolvenz restrukturierte GM-Konzern 35 Prozent halten soll. Zudem fungiert nun der angeschlagene russische Autohersteller GAS als ein »industrieller Partner« dieses Konsortiums, wie es ein Konzernsprecher am vergangenen Sonnabend gegenüber RIA-Nowosti formulierte: »Dank dem von Magna ausgebildeten Personal sowie dem effizienten Servicenetz von GAS bekommt Opel die Möglichkeit für eine Erweiterung seines Zugangs zum russischen Markt.« Für GAS berge diese Allianz hingegen die Chance, eine »Auslastung der Produktionskapazitäten« zu erreichen.

»Marktzugang gegen Technologie- und Wissenstransfer«, so könnte der Grundgedanke dieses Deals zusammengefaßt werden. Rußland bekomme zu einem niedrigen Preis »Zugriff auf Assets des deutschen Autoherstellers«, was zur »Umstrukturierung der russischen Autoindustrie« beitrage, erläuterte auch Sberbank-Chef Gref.

Tatsächlich stellt sich die Frage, welcher der beiden angeschlagenen Autobauer hier als Retter fungiert, da auch GAS am Rande der Pleite taumelt. Nur dank der guten Beziehungen zum Kreml konnte der einstmals als reichster Mann Rußlands geltende Oligarch Oleg Deripaska den Bankrott seines mit über einer Milliarde Euro verschuldeten Fahrzeugherstellers verhindern. Putin stellte im März umgerechnet 92 Millionen Euro zur Verfügung, um den Konzern vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren und die Arbeitsplätze der rund 100000 Mitarbeiter zumindest vorläufig zu sichern. 2008 verzeichnete GAS einen Verlust von 120 Millionen Euro; vor allem deshalb, weil sich der in Kooperation mit Chrysler entwickelte »Wolga Siber« als absoluter Ladenhüter erwies.

Die Fertigungsstätten sollen nun durch die Produktion von Opel-Fahrzeugen ausgelastet werden, erläuterten Konzernsprecher. Bis zu 180000 Autos des neuen Konsortiums sollen in den Fabriken von GAS gebaut werden. Opel selber besitzt bereits zwei Produktionswerke in Rußland. Das Land, das kurz vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise Deutschland als größten Automobilmarkt Europas abzulösen begann, soll für Opel zu einem wichtigen Standbein werden. Angepeilt ist eine Steigerung des Marktanteils von 3,6 Prozent auf 20 Prozent binnen weniger Jahre. Das Konsortium plant demnach, von der anvisierten Jahresproduktion von fünf Millionen Autos allein in Rußland ein Fünftel abzusetzen und auch in anderen Teilen Osteuropas kräftig zu expandieren.

Angesichts der derzeitigen Krisendynamik scheinen diese Vorhaben – gelinde gesagt – äußerst optimistisch zu sein. Bereits jetzt werden im Zuge der Umstrukturierung des neuen Konsortiums »mehr als 2000 Arbeitsplätze« in deutschen Standorten gestrichen, wie Hessens Ministerpräsident Roland Koch erklärte. Auch befindet sich Rußlands Automarkt derzeit im freien Fall. Nach jüngsten Prognosen des Industrieministeriums ist in diesem Jahr mit einem Rückgang der Verkäufe von Neu- und Gebrauchtwagen um 60 Prozent zu rechnen. Global bestehen Überproduktionskapazitäten von 50 Prozent; 90 Millionen PKW könnten pro Jahr hergestellt werden, 45 Millionen wurden 2008 verkauft.

Das bereitwillige Engagement von Magna und Sberbank resultiert wohl auch aus dem niedrigen Risiko, das beide eingehen. Das Hauptrisiko trägt der deutsche Staat in Form einer »Überbrückungsbeihilfe« von 1,5 Milliarden Euro. Die von Magna für den »unmittelbaren Finanzierungsbedarf« Opel zur Verfügung gestellten Mittel erhält dieser Konzern zurück, sobald die Staatsgelder fließen. Auch der frühzeitig aus dem Bieterverfahren ausgeschiedene Finanzinvestor Ripplewood hatte dies so gesehen: »Wir haben uns die asymmetrische Risikoverteilung angesehen und dann entschieden, auf diese Wette können wir eingehen«, wurde ein Firmenvertreter vor einigen Wochen in der FAZ zitiert.

Magna und Sberbank gehen mit ihrem Engagement nun ebenfalls eine solche Wette ein, deren Erfolgsaussichten von einer schnellen und deutlichen Belebung der Automärkte abhängen. Die Chancen stehen jüngsten Wirtschaftsdaten zufolge alles andere als gut. Die Bundesregierung selber hofft wohl, zumindest bis zur Bundestagswahl eine eventuelle Wettschuld nicht einlösen zu müssen.

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