Das Kartenhaus

„Junge Welt“, 16.03.2009
Der »Balkan-Tiger« Rumänien steht vor dem Staatsbankrott. Boom der vergangenen Jahre basierte fast ausschließlich auf kreditfinanziertem Konsum

Seit dem vergangenen Mittwoch geht die Angst um in Rumänien. An diesem Tag wurde publik, daß sich eine Delegation des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Bukarest aufhält, um die Modalitäten einer Kreditvergabe für das von einem Staatsbankrott bedrohte Land auszuhandeln. Arbeitsminister Marian Sarbu mußte bereits im Vorfeld seines Treffens mit der IWF-Delegation einräumen, daß die Kreditvergabe mit »Änderungen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik« einhergehen könne. Es hoffe allerdings, daß der Fonds eine Angleichung der Löhne und Renten an die Inflationsrate nicht verweigern werde. Die Rumänen haben bereits Ende der 90er Jahre ihre Erfahrungen mit dem IWF gemacht, als dieser dem Land mittels rabiater Strukturanpassungsprogramme eine Roßkur verpaßte, die das europaweit niedrigste Lohnniveau und eine der höchsten Armutsraten zur Folge hatte.

Bis zum 25. März wollen IWF-Inquisitoren mit Regierungsvertretern Gespräche führen, bis sie ihr abschließendes Urteil fällen und den genauen Kreditbedarf Rumäniens benennen. Derzeit wird dieser auf circa 19 Milliarden Euro geschätzt. Das Geld sollen neben dem IWF die Weltbank und die Europäische Union zur Verfügung stellen. Bereits jetzt ist klar, daß Brüssel und der Währungsfonds auf eine strikte Haushaltsdisziplin der rumänischen Regierung bestehen werden. Damit dürfte Bukarest die Möglichkeit genommen werden, mittels kreditfinanzierter Konjunkturprogramme – die derzeit fast alle westeuropäischen Länder initiieren – die Auswirkungen der Wirtschaftskrise zu mildern.

Noch vor einem Jahr galt das 22 Millionen Einwohner zählende Land als eine aus neoliberaler Sicht vorbildliche Volkswirtschaft. Die Rede war sogar vom »Tigerstaat« des Balkans. 2008 konnte Rumänien ein Wirtschaftswachstum von 7,1 Prozent vorweisen. Das niedrige Lohnniveau und eine »Flat-Tax«, ein einheitlicher Steuersatz von 16 Prozent, ließen die ausländischen Direktinvestitionen 2003 und 2006 von knappen zwei Milliarden US-Dollar jährlich auf nahezu zwölf Milliarden explosionsartig Ansteigen. 2008 waren es 12,8 Milliarden US-Dollar. Doch von Ausnahmen wie Nokia abgesehen, ging der Löwenanteil der Direktinvestitionen nicht in den Aufbau neuer Unternehmen, sondern in den Aufkauf bereits bestehender Betriebe. Investoren setzten vor allem auf die vom Staat forcierten Privatisierungen, also den Ausverkauf der Industrie.

Ein weiterer »Motor« der rumänischen Konjunktur war die exzessive Verschuldung der Bevölkerung. Das Land mit dem niedrigsten Lohnniveau innerhalb der Europäischen Union wurde zu einem regelrechten Konsumweltmeister. Wie in anderen ost- und südosteuropäischen Ländern der EU, gingen auch in Rumänien die den dortigen Finanzmarkt dominierenden, westlichen Banken dazu über, den Konsumenten Kredite in Fremdwährungen aufzuschwatzen. Der Anstieg der Neuverschuldung der Privathaushalte betrug in den vergangenen beiden Jahren 45 bzw. 65 Prozent. Fast 60 Prozent aller Kredite wurden dabei in Fremdwährungen aufgenommen. Der Wert des rumänischen Leu im Vergleich zum Euro ist allerdings im Zuge der Krise um 20 Prozent gesunken, und viele Schuldner können die Forderungen der Gläubiger nicht mehr bedienen.

Diese schuldenfinanzierte Konjunktur ging mit einem extremen Leistungsbilanzdefizit einher, daß von 8,5 Prozent des Bruttosozialprodukts im Jahr 2004 auf derzeit sage und schreibe 13 Prozent anstieg. Dafür verantwortlich ist ein ausuferndes Handelsdefizit, da die von westlichen Banken gewährten Kredite größtenteils für den Konsum westlicher Waren aufgewendet wurden. Die Auslandsverschuldung beträgt mittlerweile 58 Milliarden Euro. Rumäniens Politiker riefen schon bei mehreren Gelegenheiten die Bevölkerung auf, mehr einheimische Waren einzukaufen. Präsident Traian Basescu ging mit »gutem Beispiel« voran und tauschte seine deutsche Limousine gegen einen Dacia aus, wobei es sich allerdings um eine 70000 Euro teure Sonderanfertigung handelte.

Das strukturelle Ungleichwicht im Außenhandel und die Abhängigkeit von ausländischer Kreditvergabe führten im Zuge der Finanzmarktkrise quasi zwangsläufig zum Crash. Als die substantiellen Kapitalabflüsse aus Südosteuropa einsetzten, brach das schuldenfinanzierte rumänische »Wirtschaftswunder« wie ein Kartenhaus zusammen. Den vom Ausland zu deckenden Finanzbedarf schätzt die Ratingagentur Moodys auf 29 Milliarden Euro allein in diesem Jahr – das sind umgerechnet 21,8 Prozent des Bruttosozialprodukts.

Mit überbordender Verschuldung und mittlerweile restriktiver Kreditvergabe bricht auch die wichtigste Konjunkturstütze, der Konsum, zusammen. Laut dem Finanzministerium dürfte das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr kräftig schrumpfen. Einzelne Zahlen machen die Dramatik deutlich. So sank die Zahl der PKW-Neuzulassungen im Februar auf 7182 Neuwagen und somit auf ein Drittel des Vorjahreswertes. Im freien Fall befindet sich auch der Immobiliensektor. So sind die Preise für Eigentumswohnungen in Bukarester Toplagen bereits um bis zu 30 Prozent gefallen. Allein der von Renault aufgekaufte Autohersteller Dacia kann sich noch über rege Nachfrage freuen, da die deutsche »Abwrackprämie« dort – noch – für volle Auftragsbücher sorgt.

2 Kommentare zu „Das Kartenhaus“

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