Globale Jobvernichtung

„Junge Welt“, 11.02.2009
Krise erschüttert Arbeitsmarkt der führenden Wirtschaftsmächte. Millionen Beschäftigten droht das berufliche Aus, vielen der Absturz in die Armut

Die globale Krise hat die führenden Volkswirtschaften USA, Japan, China und Deutschland voll erwischt. Auch beim »Exportweltmeister« dürften die Arbeitsämter bald hoffnungslos überfüllt sein. Denn der globale Nachfrageeinbruch trifft die BRD-Wirtschaft besonders hart. Ende 2008 waren die Umsätze der Industrie um zwölf Prozent gesunken. Einen derartig steilen Absturz der Nachfrage hat es in der bundesrepublikanischen Wirtschaftsgeschichte noch nicht gegeben. Der bislang stärkste Umsatzrückgang (minus 9,8 Prozent) wurde im Februar 1993 registriert, als die ökonomische Einverleibung der DDR abgeschlossen war.

Nun kommt eine zu Wochenbeginn veröffentlichte Studie der Prüfungsgesellschaft KPMG zu dem Ergebnis, daß 43 Prozent der deutschen Unternehmen aufgrund der schlechten Auftragslage Arbeitsplätze abbauen werden. Nur neun Prozent aller deutschen Industriebetriebe planten Neueinstellungen. Damit dürften die durch Lohndumping, Arbeitslosenschikanen und Deregulierung des Arbeitsmarktes errungenen »Erfolge« beim Abbau der offiziellen Erwerbslosigkeit bald Geschichte sein. Noch im Oktober 2008 hatte die veröffentlichte Meinung Deutschlands über eine (gnadenlos frisierte) Arbeitslosenstatistik gejubelt, die weniger als drei Millionen Arbeitssuchende auswies. Im Januar mußten amtlich wieder 3,487 Millionen Erwerbslose eingestanden werden – 387000 mehr als im Dezember.

Dennoch ist diese Entwicklung, die Deutschland offiziell bald über vier Millionen Arbeitslose bescheren dürfte, noch relativ moderat, angesichts der ausufernden Krisendynamik, mit der sich die zweite wichtige globale Exportnation, das als »Werkstatt der Welt« bezeichnete China, konfrontiert sieht. Im Reich der Mitte sollen inzwischen 15 Prozent des 130-Millionen-Heeres der Wanderarbeiter ohne Arbeit sein. 20 Millionen dieser Arbeitsnomaden stehen ohne Broterwerb da, Menschen, die aus ländlichen Gebieten in den zahllosen Fabriken der Küstenregionen meist prekäre Beschäftigung fanden. Im Dezember wurde die Zahl der arbeitslosen Wanderarbeiter von der chinesischen Statistikbehörde noch mit sechs Millionen angegeben. Dabei muß beachtet werden, daß die Wirtschaft im vierten Quartal 2008 immer noch um 6,8 Prozent gewachsen war. Zudem hat die chinesische Führung umgerechnet 456 Milliarden Euro bereitgestellt, um die Krisensymptome zu bekämpfen.

Trotz dieses öffentlichen Investitionsprogramms soll selbst staatlichen Prognosen zufolge das Arbeitslosenheer in den ländlichen Regionen Chinas auf 25 Millionen Menschen anschwellen. Laut Prognosen der Citigroup Hongkong könnten sich 2009 im schlimmsten Fall sogar bis zu 40 Millionen erwerbsfähiger Chinesen in den Provinzen auf der Straße wiederfinden. Die nun in ihre Dörfer zurückkehrenden Tagelöhner stehen vor dem Nichts. Bis zu sieben Millionen Hektar Land, das die vormals als Kleinbauern tätigen Wanderarbeiter bewirtschaftet haben, sind von den Behörden übernommen und für den Aufbau von Industrieanlagen freigegeben worden, die nun massenhaft in die Insolvenz marschieren. 670000 kleinere Unternehmen sollen chinesischen Medienberichten zufolge bereits bankrott gegangen sein. In Chinas Städten stieg die offizielle Arbeitslosenquote von vier Prozent 2008 auf inzwischen 9,4 Prozent im Januar 2009.

Auch die dritte wichtige Exportnation, Japan, verzeichnete im Dezember einen noch nie erlebten Einbruch der Industrieproduktion (minus 9,6 Prozent gegenüber dem Vormonat). Die Erwerbslosenquote sprang innerhalb eines Monats von 3,9 Prozent auf 4,4 Prozent, so schnell wie seit 42 Jahren nicht mehr. Auch hier ist die nachlassende Auslandsnachfrage – die Exporte sanken im Dezember um 35 Prozent ein – der Auslöser.

Ursache dieser Entwicklung ist der Zusammenbruch der Defizitkonjunktur in den USA. Inzwischen sitzt »God’s own Country« auf Schulden in Höhe von 355 Prozent des jährlichen Bruttosozialprodukts. Dieses gigantische Defizit war faktisch der Preis dafür, die Überschußproduktion der exportorientierten Wirtschaftsnationen aufnehmen zu können und so die globale Konjunktur am laufen zu halten. Die Party ist vorbei. Selbst die noch eifriger als in Europa frisierte US-Arbeitslosenstatistik weist steil nach oben. Offiziell liegt die Erwerbslosenrate in den USA nun bei 7,6 Prozent. Innerhalb der zurückliegenden drei Monate wurden den Angaben zufolge zwischen San Diego und Boston 1,7 Millionen Arbeitsplätze vernichtet. Wie verlogen die US-Statistiken sind, wird dabei an der Tatsache ersichtlich, daß im selben Zeitraum die Beschäftigungsrate um 1,5 Prozentpunkte auf 60,5 Prozent fiel – das wären dann allerdings 2,8 Millionen Arbeitsplätze weniger. Das alternative Statistikportal shadowstats.com bemüht sich seit Jahren um eine korrekte Ermittlung der US-Arbeitslosenquote, die bereits seit Jahrzehnten manipuliert wurde. Laut shadowstats sind real 18 Prozent aller arbeitsfähigen US-Amerikaner ohne Beschäftigung.

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) warnt in ihrem jüngsten Bericht, daß aufgrund der Krise in der Peripherie des kapitalistischen Weltsystems zusätzliche 200 Million Menschen in »absolute Armut« abrutschen. Weltweit würden 45 Prozent aller Beschäftigten, das sind 1,4 Milliarden Menschen, zu den »arbeitenden Armen« zählen. Diese verdienen weniger als zwei US-Dollar pro Tag.

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