Andrzej Lepper macht den Joseph Fischer

Publiziert am 22.04.06 in „junge Welt“
Polnische Bauernpartei opfert die Reste ihrer progressiven Programmatik

Andrzej Lepper gilt als das Schreckgespenst polnischer Innenpolitik schlechthin. Der zu rabiaten Methoden tendierende Bauernführer erwarb sich mitsamt seiner Bauernpartei »Samoobrona« (Selbstverteidigung) in den 90er Jahren einen legendären Ruf. Damals ging die Samoobrona mit Straßenblockaden, häufig unfriedlichen Demonstrationen sowie Überfällen auf EU-Argarimporte gegen die Konkurrenz des westeuropäischen Agrobusiness vor, dessen hochsubventionierte Importe in Polen ein Massensterben kleinbäuerlicher Betriebe auslösten.

Nun steht dieser »Schweinezüchter« (N-TV) und »Rabauke« (FAZ) mit seinem »gestörten Verhältnis zur Marktwirtschaft« (ZDF) davor, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Die bislang die Minderheitsregierung stellende konservative Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) der Kaczynski-Zwillinge brachte kürzlich die Koalitionsverhandlungen mit der häufig als »linksnationalistisch« bezeichneten Samoobrona überraschend zu einem erfolgreichen Abschluß. Lepper wird nun aller Voraussicht nach Vizepremier, darüber hinaus sollen noch das Landwirtschafts- und Sozialressort der Samoobrona zufallen.

Die Welle der Empörung über diese Koalition der Konservativen mit dem »EU-Hasser« (N-TV) und »Populisten« (Welt) ist interessanterweise in deutschen Medien um einiges höher ausgefallen als in der polnischen Presselandschaft. Den Grund für die relativ kühlen Reaktionen polnischerseits nennt die Gazeta Wyborcza: Lepper werfe einen einen Großteil seines »utopischen« Programms über Bord, um endlich regierungsfähig zu werden. Deswegen reagierten die »Märkte« gelassen auf die Ankündigung dieser Koalition, so die Wyborcza.

Der »utopische Ballast«, den die Samoobrona zwecks Regierungsfähigkeit über Bord wirft, beinhaltet unter anderem Forderungen nach der Einführung einer Sozialhilfe auf Höhe des Existenzminimums, der Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 50 Prozent und einem sofortigen Rückzug polnischer Truppen aus dem Irak. Alle Deklarationen, die die Suche eines »Dritten Weges« zwischen Kapitalismus und Sozialismus propagierten, sind schon seit längerer Zeit im Parteiprogramm der Samoobrona nicht mehr auffindbar. Statt dessen einigten sich die zukünftigen Koalitionäre auf ein »Solidarisches Polen« getauftes Programm, das in Sachen Wirtschaft und Soziales keinerlei gravierende Verbesserungen mit sich bringt. Die restriktive Geldpolitik bleibt unangetastet, da eine Obergrenze von 30 Milliarden Zloty (7,5 Milliarden Euro) für das jährliche Haushaltsdefizit vereinbart wurde. Die Polnische Zentralbank wird weiterhin – zur Zufriedenheit der »Märkte« – ihre volle Unabhängigkeit beibehalten.

Zur Beschwichtigung des in der Bevölkerung langsam anwachsenden Unmuts werden aber auch einige Geschenke verteilt. So kann sich das im öffentlichen Gesundheitswesen angestellte Personal über eine 30prozentige Gehaltserhöhung freuen. Diese wurde kurz vor den für nächste Woche angesetzten Großdemonstrationen publik. Zudem sollen in die Rentenkassen bis 2030 bis zu 100 Milliarden Zloty zusätzlich fließen – ein Zugeständnis an die Masse alter PiS-Wähler.

Freie Hand ließ die Samoobrona der PiS beim Aufbau eines Polizei- und Gesinnungsstaates. Dieser basiert auf kultureller Zensur, für die jüngst Jaroslaw Kaczynski die Weichen stellte: »Ich bin überzeugter Anhänger einer ernsthaften Diskussion über kulturelle Zensur. Wir werden alles Erdenkliche tun, um unsere Werte, unsere Kirche, Religion und Tradition zu verteidigen«, erklärte der PiS-Parteichef und Präsidenten-Bruder im erzkonservativen »Radio Maryja«.

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