Dominoeffekt droht

Junge Welt, 13.06.2012
Spanien unter dem »Schutzschirm«, Italien in Schieflage, Griechenland vor Desaster: Politik und Kapital bekommen Lage in Euro-Zone nicht in den Griff

Nun ist Madrid an der Reihe. Nach Griechenland, Portugal und Irland muß Spanien Kredite des europäischen Krisenfonds EFSF (European Financial Stability Facility) in Höhe von 100 Milliarden Euro in Anspruch nehmen. Das soll den Kollaps des dortigen Finanzsektors verhindern. Spaniens Regierung hat lange gezögert, diesen Schritt zu gehen. Nun scheint sich der hinhaltende Widerstand ausgezahlt zu haben. Ersten Berichten zufolge sollen die Auflagen für das Darlehen nicht so repressiv ausfallen wie bisher üblich. Demnach wird zwar abermals eine »Troika« (aus dem russischen für Dreiergespann) aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) die Erfüllung der mit den Krediten einhergehenden Bedingungen überwachen. Diese sollen sich diesmal auf die Restrukturierung des unter einem Berg fauler Kredite kollabierenden Finanzmarktes beschränken.

Wirkung verpufft

Die Hilflosigkeit dieser Krisenpolitik wurde kurz nach Bekanntgabe der neuen Geldspritze offensichtlich, als die anfangs euphorisch reagierenden Aktienmärkte abermals ins Minus fielen. Somit sinkt die Wirkungsdauer von EU-Rettungsplänen auf wenige Stunden, in denen mittels 100 Milliarden Euro eine kurze Aktienhausse ausgelöst wurde. Ein Absenken der unerträglich hohen Zinsbelastung Spaniens auf den Kapitalmärkten wurde nicht erreicht. Am Montag stiegen die Renditen für spanische Anleihen sogar weiter. Dabei müßten die nun Madrid aufgenötigten Finanzmittel den eigentlichen Refinanzierungsbedarf des spanischen Finanzsektors weit übersteigen, der laut IWF bei rund 37 Milliarden Euro liegen soll. Mit dieser hohen Summe wollte die Troika keinerlei Zweifel über ihre »Abwehrbereitschaft« aufkommen lassen, behauptete etwa EU-Währungskommissar Olli Rehn.

Die europäische Krisenpolitik wird durch die divergierenden nationalen Interessen geprägt. Es sind insbesondere deutsche Politiker wie Wolfgang Schäuble, die »Spanien an die kurze Leine« (Die Welt) nehmen wollen. Der Bundesfinanzminister plädierte im Deutschlandfunk für eine strikte europäische Kontrolle der Neuordnung des spanischen Finanzsektors, während Bundesbankpräsident Jens Weidmann in der ARD umgehend weitere »Strukturreformen« auf der iberischen Halbinsel anmahnte.

Premier Mariano Rajoy will die mit den Hilfsmaßnahmen einhergehende Einschränkung der finanzpolitischen Souveränität Spaniens möglichst gering halten, um so den Ausverkauf des Landes zu verhindern. Es sind vor allem die Sparkassen, die unter den Folgen der geplatzten Immobilienblase leiden – und die im Fall einer Restrukturierung ihre umfangreichen Industriebeteiligungen abstoßen müßten. Sogenannte Geierfonds würden bereits auf diese Geschäftsgelegenheit warten, erklärte ein Analyst dem Manager Magazin. »Die wissen genau, daß die EU den Banken Auflagen als Gegenleistung für die Staatshilfen machen wird.« So könnten »attraktive Geschäftsfelder« und Industriebeteiligungen als »Schnäppchen« erworben werden.

Die Wirkung der aktuellen Geldspritze wird aber vor allem deshalb verpuffen, weil die Milliarden nicht zur Belebung der spanischen Wirtschaft beitragen.

Die Kürzungsprogramme schlagen auf die Binnennachfrage durch. Seit 2007 sind die Einzelhandelsumsätze bereits um rund 25 Prozent zurückgegangen. Hierdurch kollabierte auch die Industrieproduktion. Deren Ausstoß verringerte sich gegenüber April 2009 um 35 Prozent. Steuerausfälle und der Anstieg der Arbeitslosigkeit lassen das Haushaltsdefizit Madrids trotz immer neuer »Sparpakete« anschwellen. Die Rezession wird zudem das Volumen der notleidenden Kredite erhöhen und so selbst die beabsichtigte Stabilisierung des Finanzsektors untergraben.

Wolkenkuckucksheim

Obwohl diese Entwicklung alle europäischen Krisenstaaten erfaßt hat und die Euro-Zone auf einen Kollaps zusteuert, weigert sich die BRD-Politik, von dem »Sparkurs« abzurücken. Deutsche Politiker lebten »in einem Wolkenkuckucksheim« kritisierte Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugman. »Wenn höchste Repräsentanten Deutschlands dermaßen von der Wirklichkeit entkoppelt sind, welche Chancen hat Europa noch?«

Wie groß die Spannungen in der Euro-Zone inzwischen sind, machten die Reaktionen auf die Kreditkonditionen für Spanien deutlich. Selbst beim neoliberalen Musterschüler Irland löste diese Bevorzugung »Hoffnungen auf zusätzliches Entgegenkommen« bei den Auflagen aus, berichtete die Neue Züricher Zeitung. In Italien, dessen Wirtschaftsabschwung andauert, würden hingegen laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) immer häufiger Forderungen nach Euro-Bonds laut. Berlin werde inzwischen »von Ministerpräsident Mario Monti hart kritisiert«, so die FAZ. Am deutlichsten wurden griechische Linkspolitiker, die sich in ihrem Beharren auf einer gänzlichen Rücknahme des Spardiktats bestätigt fühlten. Die »Nachrichten aus Spanien bestätigen unsere Position, daß es sich bei der Krise um ein paneuropäisches Problem handelt«, erklärte der Vorsitzende der griechischen Partei Syriza, Alexis Tsipras, in einem Zeitungsinterview. Der bisherige Politikansatz sei »komplett ineffektiv und sozial desaströs« gewesen und müsse umgehend revidiert werden.

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