Gefährdete Südflanke

„Junge Welt“, 15.02.2009
Deutschlands Exportoffensive hat die Volkswirtschaften im Mittelmeerraum strukturell geschwächt. Leistungsbilanzdefizite bedrohen staatliche Bonitäten

Die Debatte um die Zukunft der europäischen Einheitswährung reißt nicht ab. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung warnte der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker am Wochenende vor »erdbebenartigen, unkontrollierbaren Folgen«, sollte das von einem Staatsbankrott bedrohte Griechenland aus der Euro-Zone ausscheiden müssen. Zudem thematisierte Juncker das wachsende ökonomische Ungleichgewicht zwischen dem deutschen Zentrum und der südlichen Peripherie der Euro-Zone: »Eine Währungszone kann auf Dauer nicht bestehen, wenn die Unterschiede in den Leistungsbilanzen der Volkswirtschaften übergroß werden.« Diplomatisch verklausuliert sprach der luxemburgische Regierungs­chef die simple – und in der deutschen Öffentlichkeit verbissen ignorierte – Tatsache aus, daß die deutschen Exportoffensiven seit Einführung des Euro maßgeblich zu der Defizitbildung in etlichen südlichen Volkswirtschaften der Euro-Zone beigetragen haben.

Neben Griechenland gilt insbesondere Spanien als ein weiterer südeuropäischer Krisenherd, der allein aufgrund der weitaus größeren Verschuldungsrate einem regelrechten Sprengsatz für das europäische Finanz- und Währungssystem gleichkommt. Während Griechenlands Schulden gegenüber ausländischen Banken sich auf circa 302 Milliarden US-Dollar belaufen, steht die spanische Volkswirtschaft laut der Internationalen Bank für Zahlungsausgleich mit insgesamt nahezu 1154 Milliarden US-Dollar bei ausländischen Kreditgebern in der Kreide. Die Gesamtverschuldung entspricht einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey zufolge inzwischen 342 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Somit gehört Spanien – nach Japan, Großbritannien und den USA – zu den am stärksten verschuldeten Industrieländern der Welt.

Den Löwenanteil nimmt dabei laut McKinsey die Verschuldung spanischer Unternehmen jenseits des Finanzsektors ein, die allein 136 Prozent des BIP erreicht. Die Konsumenten sind mit 85 Prozent des BIP verschuldet. Diese enorme Schuldenrate wurde während des Immobilienbooms der vergangenen Dekade generiert, der hauptsächlich von ausländischem Kapital befeuert wurde. Die Bank Credit Suisse gibt in einer Studie zu bedenken, daß 2007 in Spanien die »Quote von Leistungsbilanzdefizit zu BIP einen Höchststand von elf Prozent« erreichte und somit sogar das »US-Defizit bei weitem überstieg«. »Zur Spitze des Booms wurden in Spanien pro 1000 Einwohner 14 Wohnungen gebaut, verglichen mit nur sieben in den USA und drei in Großbritannien.« Dies führte zu einer enormen ökonomischen Belebung des Landes, das in der vergangenen Dekade ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 2,8 Prozent verzeichnen konnte, während es in der gesamten Euro-Zone nur 1,5 Prozent waren. Von dieser Defizitkonjunktur profitierte nicht zuletzt der damalige »Exportweltmeister« Deutschland: Allein 2007, also kurz vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise, betrug der deutsche Außenhandelsüberschuß im Spanien-Geschäft nach Angaben des Auswärtigen Amtes satte 22,4 Milliarden Euro. Nach dem Zusammenbruch der Immobilienbonanza explodiert nun die spanische Staatsverschuldung: 2007 lag sie noch bei 36,1 Prozent des BIP, 2011 soll sie auf 74 Prozent steigen. Madrids sozialdemokratische Regierung hat inzwischen ein umfangreiches Sparpaket aufgelegt, das die Beschneidung der Staatsausgaben um jährlich 50 Milliarden Euro und die Anhebung des Rentenalters von 65 auf 67 Jahre vorsieht.

Mit umfangreichen Sparmaßnahmen und Privatisierungen will auch die portugiesische Regierung die »Finanzmärkte« von ihrer »Seriosität« überzeugen, nachdem eine jüngst durchgeführte Emittierung von Staatsanleihen enttäuschend verlief. Statt der anvisierten 500 Millionen Euro flossen nur 300 Millionen in die Staatskassen. Um bis 2013 das Haushaltsdefizit auf weniger als drei Prozent des BIP zu drücken, sind nun Massenentlassungen im öffentlichen Dienst geplant, dessen Gehälter eingefroren werden sollen. Zudem will sich der Staat vom Flughafenbetreiber Ana, dem Energiekonzern Galp und der Fluggesellschaft Tap trennen. Da die beiden Volkswirtschaften auf der Iberischen Halbinsel hochgradig miteinander verflochten sind, reißt der Einbruch in Spanien Portugal mit in den Abgrund. An die 30 Prozent der portugiesischen Exporte gingen vor Krisenausbruch nach Spanien, dessen Arbeitslosenquote inzwischen nahezu 20 Prozent erreicht.

Auch Italien verzeichnete 2007 ein enormes Handelsdefizit von 16 Mil­liarden Euro gegenüber seinem größten Handelspartner Deutschland. Doch bildete sich südlich der Alpen keine Immobilienblase wie in Spanien. Auch ist die Verschuldungsrate der privaten Verbraucher in der italienischen Republik laut McKinsey mit 40 Prozent des BIP relativ niedrig. Auf längere Sicht wird vor allem die mit 115 Prozent sehr hohe Staatsverschuldung problematisch werden, da bis zum Herbst laut FAZ »eine Neubewertung von Länderrisiken auf dem Markt zu erwarten« ist, in deren Verlauf Italien »mit den schlechten Schuldnerländern in einen Topf geworfen zu werden« droht. Hierdurch würde die Zinslast für die italienische Regierung steigen. Dennoch äußerten italienische Analysten gegenüber der FAZ die Hoffnung, daß die traditionell desolate Haushaltslage des Landes längst einen Gewöhnungseffekt auf den Finanzmärkten mit sich gebracht hätte: »Italien schlägt sich schließlich schon seit 150 Jahren mit den Problemen seiner Staatsfinanzen herum und hat einen dementsprechend schlechten Ruf«.

Nach oben scrollen