Stimmungswandel bei den polnischen Nachbarn

„Junge Welt“ vom 12.09.06

Wer ist verantwortlich für die deutsch-polnische Krise dieser Tage? Während die antipolnischen Reihen in Deutschland fest geschlossen scheinen, lassen polnische Parteien und Medien ihrem Hang zur kontroversen Diskussion freien Lauf. Führende Zeitungen des Landes, wie die Gazeta Wyborcza, sahen die Schuld für die sich rapide verschlechternden Beziehungen zu Deutschland vor allem bei den Kaczynski-Zwillingen. Insbesondere ihre überzogene Reaktion auf eine antipolnische Satire in der tageszeitung wurde in Polen von vielen kritisiert. Ähnlich argumentierte die Opposition. Die liberale PO und die sozialdemokratische SLD sahen die Ursachen für die Spannungen zwischen Berlin und Warschau in einer anachronistischen, antideutschen Ideologie, der die Parteien des Regierungslagers verfallen sein sollen. Nur die extrem rechte Presse verfolgte einen klar antideutschen Kurs. So ließ auf dem Höchepunkt der »taz-Affäre« der Nasz Dziennik, eine der rechtsextremen »Liga der Polnischen Familien« nahestehende Tageszeitung, eine Liste mit deutschen Journalisten veröffentlichen, die in Polen arbeiten – der Titel lautete: »Namen, die man sich merken sollte«. Solche Aktionen stießen aber in Polen auf breite Ablehnung, von einer geschlossenen antideutschen Front konnte keine Rede sein.

Die Stimmung kippte erst im Zuge der Auseinandersetzungen um die Berliner Vertriebenenausstellung. Hatte während der Weltmeisterschaft noch die größte Wochenzeitung Polens, die Polityka, mit der Schlagzeile »Die Deutschen lassen sich mögen« erscheinen können, ohne sich gänzlich lächerlich zu machen, so faßte Anfang September die rechtsliberale Wochenzeitung Wprost mit dem Aufmacher des »Kalten Krieges« zwischen beiden Ländern den Stimmungswandel in Polen markant zusammen. Seitdem mehren sich auch in liberalen oder proeuroäischen Blättern – wie der Gazeta Wyborcza oder der Rzeczpospolita – die Artikel, die den großen westlichen Nachbarn kritisch beäugen. Teilweise kommen deren Autoren aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.

Zum einem ist es die Existenz der »Vertriebenenverbände« selbst, die östlich der Oder Verwunderung auslöst: »Deutschland ist das einzige westliche Land, in dem eine ›Vertriebenenbewegung‹ eine einflußreiche politische Kraft darstellt. Eine ähnliche Stellung konnten weder die französischen Flüchtlinge aus Algerien, noch die italienischen aus Dalmatien und Istrien erringen«, so Piotr Semka in der Wprost.

Es sind die höchsten politischen Protektionen seitens der Regierenden in der BRD wie der halbstaatliche Charakter des BdV, der weitere Irritationen in Polen hervorrufen. Als Bundespräsident Horst Köhler kürzlich auf dem »Tag der Heimat« des BdV auftrat, wurde nicht seine konkrete Rede in vielen polnischen Medien kritisiert, sondern die Tatsache, daß der höchste Repräsentant der BRD sich mit den Vertreibenenverbänden öffentlich solidarisiert.

Eine spezifische Charakteristik der deutschen Debatte bildet laut Wprost-Autor Semka deren nahezu gleichgeschaltet wirkende Einheitlichkeit. Keine einzige Stimme von Gewicht würde sich in der deutschen Öffentlichkeit gegen das Vorgehen des BdV zu Wort melden. Niemand kritisiere dort die harte Haltung der deutschen Diplomatie gegenüber Polen, so Semka.

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