Der Strom muss fließen

jungle world, 11.11.2021

Bei der Klimakonferenz in Glasgow wird darüber verhandelt, wie die Pariser Klimaziele zu erreichen sind. Große Fortschritte gibt es nicht, nationale Interessen stehen einem gemeinsamen Handeln im Weg.

Bereits jetzt hat die UN-Klimakonferenz in Glasgow (COP26) messbare Ergebnisse gezeitigt: Über 1 400 Tonnen CO2 seien von den rund 120 Privatjets ausgestoßen worden, mit denen führende Politiker und Kapitalfunktionäre wie der Amazon-Oligarch Jeff Bezos zur Kon­ferenz angereist waren, berechnete die Wirtschaftszeitung Forbes. Das Boulevardblatt Daily Mail hatte zuvor sogar von 13 000 Tonnen geschrieben.

Das zweiwöchige Gipfeltreffen von Vertretern von 197 Staaten gilt als letzte große Chance, einen katastrophalen Verlauf der Klimakrise in den kommenden Jahrzehnten zu verhindern. Verhandelt wird über die Verwirklichung des Pariser Klimaabkommens von 2015, das eine Beschränkung des globalen Temperaturanstiegs im Vergleich zum vorindustriellen Niveau auf höchstens zwei, am besten aber 1,5 Grad Celsius als Ziel formulierte. Nun sollen die Staaten neue, verschärfte Beschlüsse zum Klimaschutz fassen, um dieses Ziel tatsächlich zu erreichen. Sollten die bisherigen Selbstverpflichtungen der Staaten nämlich nicht verschärft werden, wird der CO2-Ausstoß Prognosen der UN zufolge 2030 um 16 Prozent höher liegen als 2010. Dann wäre ein katastrophaler Temperaturanstieg um rund 2,7 Grad unvermeidlich.

In Glasgow geht es also darum, den Ausstieg aus der Kohleverstromung zu beschleunigen, die Abholzung der Wälder einzudämmen und Investitionen in erneuerbare Energien zu fördern. Rund 140 Länder haben schon vor der Konferenz Verschärfungen ihrer Klimaziele vorgestellt, darunter Industrieländer wie Deutschland und die USA. Dadurch werden vor allem Schwellenländer wie Indien, Ölförderländer wie Saudi-Arabien und die Werkstatt der Welt, China, unter Druck gesetzt, die dies noch nicht getan haben. Länder wie Australien, Brasilien, Mexiko und Russland reichten zwar neue Klimaziele ein, die aber nach Einschätzung des Weltklimarats IPCC keine Verbesserung, sondern teilweise sogar eine Verschlechterung im Vergleich zu den vorherigen Zielen darstellten. Eine zentrale Konfliktlinie bei den Verhandlungen verläuft somit zwischen den Entwicklungs- und Schwellenländern einerseits sowie den reichen Industrieländern und den USA andererseits, wobei die geopolitische Rivalität zwischen USA und China diese Frontstellung zusätzlich verschärft. US-Präsident Joe Biden ließ es sich bei seiner Rede in Glasgow nicht nehmen, den russischen Präsidenten Wladimir Putin und den chinesischen Präsidenten Xi Jinping persönlich für deren Fernbleiben vom Gipfeltreffen zu kritisieren.

Auch über Geldzahlungen wird bei COP26 verhandelt: Bei vergangenen Klimagipfeln hatten die reichen Länder zugesagt, Entwicklungsländer ab dem Jahr 2020 mit rund 100 Milliarden US-Dollar jährlichzu unterstützen (Die Gelder sollen in erneuerbare Energien und in den Schutz vor Folgen des Klimawandels fließen). Erfüllt wurde dieses Versprechen nie, erst ab 2023 soll das gesteckte Ziel von 100 Milliarden US-Dollar jährlich erreicht werden. Auch hier fordern die westlichen Industrieländer, dass sich insbesondere China künftig stärker an der Finanzierung dieser Transfers beteiligt.

Der Streit um die Unterstützungszahlungen für arme Länder offenbart den Grundkonflikt zwischen den reichen und den armen Ländern. Viele Entwicklungs- und Schwellenländer sind nicht bereit, für die Lösung des Klimaproblems ihr Wirtschaftswachstum zu behindern, erst recht nicht, solange die Industrieländer ihren diesbezüglichen Verpflichtungen nicht nachkommen. Zwar stimmt es schon lange nicht mehr, dass die Hauptverursacher der CO2-Emissionen fast vollständig in Europa und den USA zu finden sind, doch historisch gesehen haben die westlichen Industriestaaten am meisten zur Erderwärmung beigetragen. Auch die CO2-Emissionen pro Kopf sind in den meisten reichen Ländern nach wie vor deutlich höher als selbst in hochindustrialisierten Schwellenländern wie China, zumal diese in ihren Fabriken oft Produkte für westliche Konsumenten herstellen.

Einen weiteren Streitpunkt bildet deshalb der globale Emissionshandel. Dieser würde Unternehmen und vor allem den entwickelten Industrieländern erlauben, Verschmutzungsrechte aufzukaufen, um die eigenen Emissionsgrenzen überschreiten zu können. Seit 2015 ist es nicht gelungen, für den Handel mit Emissionsrechten international verbindliche Regeln aufzustellen, und auch bei den jetzigen Verhandlungen stehen sich die Interessen der Industriestaaten, besonders der USA und der EU, und der Entwicklungsländer gegenüber. Letztere wollen den Emissionshandel besteuern, um Einnahmen für Investitionen in eigene Klimaschutzprojekte zu generieren.

Dass die Bilanz von Glasgow enttäuschend ausfallen dürfte, ließ – abgesehen von der Erfahrung sämtlicher vorheriger Klimagipfel – schon das Ergebnis des G20-Gipfels in Rom Ende Oktober erwarten. Die G20-Länder sind für rund 80 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich. Doch der Gipfel endete mit vagen Zusagen in der Klimapolitik. Die Bemühungen der italienischen G20-Präsidentschaft, 2050 als Frist für das Erreichen der Klimaneutralität verbindlich festzuschreiben, wurden von Russland, Saudi-Arabien, Indien und China vereitelt. China will seine Emissionen, die inzwischen fast 28 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes ausmachen, bis 2030 weiter ansteigen lassen und erst 2060 Klimaneutralität erreichen.

Wegen dieser klimapolitischen Blockade stellen die Ergebnisse des Gipfels in Glasgow nur Stückwerk dar. Immerhin gab es auf der Konferenz eine Erklärung von mehr als 40 Ländern über einen beschleunigten Ausstieg aus der Kohleverstromung, darunter auch Länder mit hohem Kohleverbrauch wie Polen, Vietnam und Indonesien. In den dreißiger Jahren wollen die reichen Länder unter den Unterzeichnern sich von der Kohle verabschieden, in den vierziger Jahren die Entwicklungsländer. Die größten Kohleverbrenner haben das Abkommen aber nicht unterzeichnet, darunter neben China und Indien auch die USA.

Ähnlich verhält es sich mit dem Pakt zur Verringerung der globalen Methanemissionen. Methan trägt in den ersten 20 Jahren in der Atmosphäre rund 80mal so viel zur Klimaerwärmung bei wie dieselbe Menge CO2. Mehr als 100 Staaten, die zusammen rund die Hälfte des globalen Methanausstoßes verursachen, haben sich einer Initiative der EU und der USA angeschlossen, Methanemissionen bis 2030 um 30 Prozent zu senken. Methan entsteht vor allem in der industrialisierten Landwirtschaft sowie in der Öl- und Gasindustrie. Auch diesem Abkommen schlossen sich wichtige Staaten wie China, Russland und Australien nicht an. So wurden auf der Konferenz Entscheidungen von wechselnden Koalitionen getroffen, eine Folge der sich verschärfenden nationalen Konkurrenz in der Weltwirtschaft.

Ohnehin sind auch diese freiwilligen Klimavereinbarungen mit Hintertüren versehen. Das illustriert der in Glasgow verkündete Pakt gegen die globale Entwaldung. Mehr als 100 Staats- und Regierungschefs haben dem Vertrag zugestimmt, der vorsieht, den Kampf gegen die Vernichtung von Waldflächen zu verstärken und die Nettoentwaldung bis 2030 zu beenden. Zu den Unterzeichnern gehören Russland, Kanada, die USA und sogar die rechte Regierung Brasiliens. Allerdings ist die Vereinbarung nicht verbindlich, die Vorgaben müssen also nicht in nationales Recht überführt werden. Entwaldung ist für rund 15 bis 20 Prozent der menschengemachten CO2-Emissionen verantwortlich.

Die Reaktion vieler Staaten auf die derzeit hohen Preise von Öl und Gas zeigte derweil, dass der kapitalistische Verwertungszwang jegliche Klimapolitik ad Absudrum führt. US-Präsident Biden, der in Glasgow China wegen klimapolitischer Untätigkeit anprangerte, versuchte in der vergangenen Woche erfolglos, das internationale Ölkartell Opec dazu zu drängen, mehr Öl zu fördern. Auch unter Biden subventionieren die USA weiterhin ihre heimische Gas- und Ölförderung. Russland wiederum werde in diesem Jahr aufgrund der rasch anschwellenden Nachfrage einen Allzeitrekord bei der Gasförderung verzeichnen, meldete die Nachrichtenagentur <I>Tass<I> Mitte Oktober. Und in China, wo derzeit 43 neue Kohlekraftwerke gebaut werden, ordnete die Regierung die Erhöhung der Fördermengen in 72 innermongolischen Kohleminen um knapp 99 Millionen metrischer Tonnen an, um Stromausfällen entgegenzuwirken. In den USA sieht es nicht viel besser aus: Die Stromerzeugung aus Kohle soll in diesem Jahr um 22 Prozent steigen.

Auch in Deutschland feiert die Kohle angesichts der hohen Energienachfrage gerade ein Comeback: Im vergangenen September war die Kohleverstromung um 41 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gestiegen; Kohle war im ersten Halbjahr dieses Jahres der wichtigste Energieträger in Deutschland.

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