Polen vor dem Abschwung

„Junge Welt“, 04.08.2008
Fallende Immobilienpreise, steigende Verschuldung und starker Zoty machen der polnischen Ökonomie zu schaffen

In ihrer aktuellen Wochenendausgabe berichtete die polnische Tageszeitung Rzeczpospolita über ein »schmerzhaftes Szenario«, das sich inzwischen für Polens Kreditnehmer abzeichne. Demnach sollen die steigenden Zinsen zu einer weiteren Belastung insbesondere der zahlreichen Hypothekennehmer führen, die in den letzten Jahren massenhaft ihren Traum von den eigenen vier Wänden zu verwirklichen trachteten. Die durchschnittliche Verzinsung der fast ausschließlich mit variablen Zinssätzen abgeschlossenen Hypotheken könne – bei einem Kredit über 300000 Zoty (etwas weniger als 100000 Euro; ein Euro entspricht etwa 3,2 Zoty) – von zur Zeit 7,6 auf bis zu 8,1 Prozent ansteigen, erklärten Experten des Finanzdienstleisters Expander gegenüber dem Blatt. Die polnische Notenbank reagierte auf die zunehmende Inflation mit Zinserhöhungen, die den Leitzins auf sechs Prozent hochschraubten.

Das sind keine guten Nachrichten für den einst boomenden polnischen Immobilienmarkt, der jahrelang Stütze der Konjunktur war und sich jetzt im Abschwung befindet. Ähnlich wie in den USA, Großbritannien oder Spanien ließ der permanente Anstieg der Immobilienpreise bereits im Sommer letzten Jahres auch in Polen nach. Bei Wohnhäusern z.B. gibt es einen enormen Preisverfall, der bis zum Jahresende 10 bis 20 Prozent erreichen soll. Vielen Hypothekennehmern dürfte bald die Luft ausgehen.

Die Baubranche spürt bereits die Folgen. So sei das zweite Quartal dieses Jahres das »schlimmste seit dem Einbruch des Marktes« im Sommer 2007, meldete Rzeczpospolita. Nur 5600 neu errichtete Wohneinheiten hätten die Baugesellschaften und Immobilien-Investoren des 39 Millionen Einwohner zählenden Landes in diesem Zeitraum absetzen können. Inzwischen rollt die Pleitewelle im Bausektor an. Bis Mitte 2008 mußten bereits 27 Firmen Konkurs anmelden, wobei die Zahl der Konkursanträge inzwischen fünf Mal so hoch sein soll, wie das Internetportal infoseite-polen.de berichtet.

Während des spekulativ befeuerten Booms auf dem Immobilienmarkt gingen Baugesellschaften, Investoren und Banken dazu über, massenhaft und großzügig neue Bauprojekte einzuleiten und zu finanzieren. Die finden nun keine Abnehmer mehr oder wurden gar nicht erst zu Ende gebaut. In den Zeitungen häufen sich die Schnäppchenangebote für Immobilien im Rohbaustadium, die verzweifelte Häuserbauer, Baugesellschaften oder Investoren noch an den Mann zu bringen hoffen. Diese nun kaum verkäuflichen, zumeist kreditfinanzierten Bauprojekte drohen laut der Zeitung Gazeta Prawna einen Domino-Effekt in der Baubranche auszulösen.

Vor einem totalen Absturz könnte den Bausektor wohl nur noch die erhoffte Zunahme der Aufträge im Zuge der für 2012 geplanten Fußball-Europameisterschaft retten. Eine erneute Belebung der Nachfrage nach Wohnhäusern ist hingegen auch angesichts der rasch steigenden Verschuldung polnischer Haushalte ausgeschlossen. So stiegen die Verbindlichkeiten der Privathaushalte binnen eines Jahres um schwindelerregende 34,3 Prozent auf 299 Milliarden Zoty im Juni 2008, wobei 1,2 Millionen dieser privaten Kreditnehmer bereits jetzt länger als 60 Tage mit ihren Ratenzahlungen im Verzug sind.

Mit dem Ende dieser exzessiven Kreditaufnahme, die inzwischen an ihre Wachstumsgrenzen stößt, droht auch ein Einbruch bei der Binnennachfrage – einem weiteren, wichtigen Standbein der polnischen Konjunktur. Die Umsätze des Einzelhandels in Polen wuchsen – dank der zunehmenden Privatverschuldung – jährlich im zweistelligen Bereich. Noch im April meldete die Zeitung Gazeta Wyborcza, daß der Einzelhandelsabsatz im Jahresvergleich um 15,7 Prozent zugenommen habe. Doch auch schon diese Zahlen galten als Enttäuschung, da 20 Prozent erwartet wurden.

Wie hoch der Anteil des kreditfinanzierten Konsums an diesen explosionsartig gestiegenen Einzelhandelsumsätzen ist, wird bei einem Blick auf die Einkommensentwicklung klar. So lagen die Durchschnittseinkommen in Polen 2001 bei 51 Prozent des EU-Durchschnitts, heute liegen sie – infla­tionsbereinigt – bei 54 Prozent (jeweils in Relation zu den »alten« EU-Ländern). Diese bescheidenen Zuwächse von drei Prozentpunkten binnen sieben Jahren können nicht als Grundlage des polnischen !«Konsumwunders« dienen, von dem vor allem westliche, insbesondere deutsche Einzelhandelskonzerne wie Lidl, Plus und Metro profitierten. Neben der privaten Verschuldung dienten auch die Auslandsüberweisungen des Millionenheeres polnischer Arbeitsmigraten als Stütze der Binnennachfrage. Polens Wanderarbeiter überwiesen 2007 umgerechnet 7,2 Milliarden Euro.

Der starke Zoty, der aufgrund der klassisch monetaristischen Politik der polnischen Zentralbank immer neue Höchststände gegenüber dem Euro und vor allem dem Dollar erklimmt, bringt nun auch die export­orientierten Zweige der polnischen Ökonomie in Bedrängnis. So wundert es kaum, daß die Ende Juli vom polnischen Wirtschaftsforschungsinstitut BIEC vorgestellten Prognosen auf eine starke Abkühlung der Konjunktur hinweisen.

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