Wie tief reicht der braune Staatssumpf?

Telepolis, 11.03.2019
Neue Enthüllungen werfen ein bezeichnendes Licht auf die Grauzone zwischen Staat und Rechtsextremismus in der Bundesrepublik

Neue Zeitungsrecherchen werfen beunruhigende Fragen auf: War der Verfassungsschutz in die Formierung mutmaßlicher rechtsterroristischer Strukturen in der Bundeswehr involviert? Der Veteranenverein Uniter steht im Verdacht, die Keimzelle einer „Schwarzen Reichswehr“ (Focus) zu bilden, in der sich Soldaten, Polizisten und staatliche Funktionsträger informell organisierten, um im Krisenfall im Rahmen eines geplanten Putsches Massenmord an politischen Gegnern zu begehen.

In Uniter sind insbesondere ehemalige Mitglieder der für Auslandseinsätze geschulten Sondereinsatzkräfte der Bundeswehr, des Kommando Spezialkräfte (KSK), organisiert. Die jüngsten Enthüllungen haben indes zutage gefördert, dass der Verein, in dem auch Polizisten und Akteure aus der Sicherheitsbranche organisiert sind, von einem Mitarbeiter der Verfassungsschutzes mitgegründet worden sein soll.
Verfassungsschutz als Geburtshelfer der „Schwarzen Reichswehr“?

Der Verfassungsschutz verfüge über eine „direkte Verbindung“ zu dem Verein Uniter, heißt es in dem Hintergrundbericht der Tageszeitung (taz). Ein Mitarbeiter des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) Baden-Württemberg habe Uniter Mitte 2016 mitgegründet. Mehr noch: Der Geheimdienstler soll im Vorstand von Uniter gewirkt haben, bis er Anfang 2017 offiziell zurückgetreten sei. Er sei aber im Vereinsregister bis heute eingetragen.

Was machte somit der Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes in einem Verein, in dessen Umfeld Männer aktiv waren, gegen die der Generalbundesanwalt wegen der „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ ermittelt? Gegenüber der Tageszeitung gab das Landesamt für Verfassungsschutz an, dass der Verein Uniter kein Beobachtungsobjekt sei, da „keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es sich um eine Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung handelt“. Nach internen Information der taz verfügt aber der Verfassungsschutz dennoch über „mindestens einen Hinweisgeber, der den Verfassungsschutz über Veranstaltungen des Vereins“ informiere.

Der Verfassungsschutz verweigerte gegenüber der taz jegliche weiteren Informationen über den Mitarbeiter, der Uniter mitgegründet hat. Es sei beispielsweise unklar, ob der VS-Mann auf Weisung der Behörde agierte oder sich auf eigene Faust engagierte: „So bleibt vorerst offen, seit wann der Mitarbeiter für das LfV arbeitet und seit wann das LfV von seiner Vereinsaktivität wusste.“

Der Fall weckt Erinnerungen an die zwielichtige Rolle des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) innerhalb der mutmaßlichen rechtsextremen Seilschaften rund um Uniter. Der ehemalige KSK-Soldat und Uniter Stellvertreter Andre S. („Hannibal“) war als Administrator maßgeblich am Aufbau der Informationsstrukturen beteiligt, in denen Mitglieder von Uniter über ihre Putschpläne diskutierten. Zugleich war er laut taz bis zu seinem Ausscheiden aus dem KSK eine „Auskunftsperson des Bundeswehr-Nachrichtendienstes MAD“ innerhalb der abgeschotteten Spezialeinheit, die schon wegen rechtsextremer Vorfälle in die Schlagzeilen geriet.
Militärischer Abschirmdienst im Zwielicht

Im November 2018 wurde bekannt, dass Ermittlungen gegen den Mitarbeiter des MAD laufen, der das Umfeld von Uniter und die KSK überwachen sollte – wegen Geheimnisverrats. Der Geheimdienstler, der etwaige rechtsextreme Strukturen rund um die Sondereinsatzkräfte der Bundeswehr ausloten sollte, wird verdächtigt, eben diese Seilschaften vor bevorstehenden Razzien der Ermittlungsbehörden gewarnt zu haben. Es entsteht somit der Eindruck, dass der MAD sich auf seine kaum Mitarbeiter verlassen kann, wenn es um die Aufarbeitung rechtsextremer Strukturen im „tiefen Staat“ der Bundesrepublik geht.

Aktuelle Enthüllungen bezüglich der Informationspolitik des MAD verstärken zusätzlich den Eindruck, der Geheimdienst sei auf dem rechten Auge blind. Demnach habe der MAD jahrelang sehr niedrige Zahlen angegeben, wenn es um rechtsextremistische Umtriebe bei der „Truppe“ ging, berichtete der Spiegel. Gemäß neuer Informationen scheinen diese Statistiken so nicht ganz zu stimmen.

Gegenüber dem Bundestag und der Öffentlichkeit habe der Militärische Abschirmdienst immer nur die Zahl der eindeutig „erkannten Rechtsextremisten“ angegeben, so SPON unter Verweis auf Aussagen von MAD-Funktionsträgern in einer vertraulichen Sitzung des Innenausschusses Mitte Februar. Demnach seien 2018 nur vier Soldaten wegen rechtsextremistischer Bestrebungen entlassen worden, 2017 waren es sechs Bundeswehrangehörige.

In den Statistiken des MAD seien aber die Fälle von „Verdachtspersonen mit extremistischer Einstellung“, so wörtlich, „zu kurz“ gekommen, die vom Dienst enttarnt und an die zuständigen Personalstellen der Truppe gemeldet würden. Dies seien rund 10 Fälle pro Jahr. Insgesamt bearbeite der MAD rund 450 Fälle, bei denen Verdacht auf rechtsextremistische Umtrieben in der „Truppe“ bestehe.

Hierzu gehören auch 64 MAD-Ermittlungen gegen mutmaßliche Mitglieder der rechtsextremistischen „Identitären Bewegung“ und der zum Rechtsterrorismus neigenden Sekte der „Reichsbürger“, deren Mitglieder die Legitimität der Bundesrepublik generell infrage stellen. Von den 35 Verdachtsfällen von Reichsbürgern in der Bundeswehr sei kein einziger als „eingestufter Extremist erkannt worden“, hieß es weiter.

Indes befinden sich gerade die – nun ja: „großzügigen“ – Kriterien, mit denen der MAD Rechtsextremisten „erkennen“ will, im Zwielicht. Ist ein KSK-Kämpfer, der den Hitlergruß zeigt, ein Rechtsextremist? Nach Ansicht des MAD ist dies nicht der Fall. Als KSK-Soldaten bei einer Feier rechtsextreme Musik hörten, zur Unterhaltung einen Schweinskopf warfen und der Soldat Pascal D. mehrmals den Hitlergruß zeigte, wurde er zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt – wegen des „Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“.

Dennoch gab der MAD an, seit 2012 keinen einzigen KSK-Soldaten als einen Rechtsextremisten „erkannt“ zu haben. Es gebe nur fünf „Verdachtspersonen mit Erkenntnissen“, berichtete die taz. Der Militärische Abschirmdienst benutze eine Farbskala von Grün bis Rot, um rechtsextremistische Umtriebe im Bund festzustellen. Der KSK-Mann, der rechtsextreme Musik hörend den Hitlergruß zeigte, sei als Verdachtsfall bei „gelb“ einsortiert worden. Er taucht somit in der offiziellen Statistik nicht als Rechtsextremist auf – und ist Teil jener Gruppe von 450 „Verdachtsfällen“ des MAD.
Uniter gemeinnützig – Attac nicht

Viel Verständnis für das Wirken des zwielichtigen Veteranenvereins Uniter scheinen auch deutsche Steuerbehörden aufzubringen. Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs, der Nichtregierungsorganisation Attac Gemeinnützigkeit zu entziehen, scheint für Uniter keinerlei Folgen zu haben.

Der Verein, der im Verdacht steht, die Keimzelle der „Schwarzen Reichswehr“ zu bilden, bleibt weiterhin gemeinnützig. Spenden an Uniter könnten weiterhin steuerlich abgesetzt werden, hieß es in einer Mail des Vereins vom Ende Februar, die der Tagesspiegel publizierte.

Es stelle sich somit die Frage, ob hier nicht „aktive Rechtsradikale … steuerlich begünstigt“ würden, so die Zeitung unter Verweis auf eine Stellungnahme des Grünen-Landtagsabgeordneten Alexander Maier, Sprecher seiner Fraktion für Strategien gegen Rechtsextremismus:

„Es kann nicht sein, dass die Gemeinnützigkeit von Attac aufgehoben oder die Deutsche Umwelthilfe als gemeinnützige Organisation infrage gestellt wird. Und auf der anderen Seite kann Uniter als gemeinnütziger Verein weiter schalten und walten – obwohl diese Gruppierung unter Verdacht steht, eine rechtsextreme Schattenarmee gegründet zu haben.“
Alexander Maier

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