Gemeinsam gegen Rothschild?

Telepolis, 11.06.2014
Wieso fühlen sich Politiker der Linkspartei bemüßigt, an einer Querfront teilzunehmen, die das politische Koordinatensystem zu überwinden trachtet?

Der umtriebige rechte Publizist Jürgen Elsässer, der sich dem Aufbau einer Querfront zwischen rechten und linken Kräften verschrieben hat, konnte am vergangenen Montag einen erheblichen diesbezüglichen Erfolg verbuchen. Mit Diether Dehm hat erstmals ein Bundesabgeordneter der Linkspartei auf den dubiosen allwöchentlichen Kundgebungen gesprochen, die – offensichtlich gut organisiert und finanziert – neben einer verschwommenen Friedensbotschaft die Überwindung des politischen Denkens in den Kategorien von „Rechts“ und „Links“ propagieren.

Die sogenannten Montagsdemos, bei denen wirre Verschwörungstheorien über das angeblich allmächtige jüdische Kapital (Rothschild-Bankiers) oder die US-Notenbank Verbreitung finden, werden regelmäßig von Rechtsextremisten frequentiert. Das Amalgam absurder Obsessionen, das bei diesen Zusammenkünften zum Ausdruck kommt (von der Kondensstreifenverschwörung über den allgegenwärtigen und mühsam kaschierten Antisemitismus bis zum Neomonarchismus) ist charakteristisch für die Formierungsphase einer rechten Bewegung. Ungemütlich kann es für die Montagsdemo-Redner nur dann werden, wenn sie von diesem illustren Publikum auf der Unterscheidung zwischen Rechts und Links beharren. Dann gehen die anscheinend so toleranten Demonstranten, die wirklich jeden Spinner in ihren Reihen dulden, sehr schnell zu wüsten Beschimpfungen über.

Seit der Formierung dieser rechten Bewegung, die zeitgleich mit der Eskalation in der Ukraine erstarkte, diskutiert auch die Linke über ihr Verhältnis zu diesem anscheinend „amorphen“ Phänomen, dessen wichtigste Protagonisten für sich in Anspruch nehmen, das leidige Lagerdenken zwischen Links und Recht überwunden zu haben – während sie, wie etwa Jürgen Elsässer, fleißig mit Rechten kooperieren.

Was tun mit den Verschwörungstheoretikern?

Es ist innerhalb dieser kontroversen innerlinken Debatte bezeichnend, dass ausgerechnet Exponenten der anscheinend „linken“ westdeutschen Flügel der Linkspartei sich für ein Engagement in dieser neurechten „Friedensbewegung“ aussprachen. Gemeinsam mit Diether Dehm, der in dem Lafontaine nahen Parteiflügel „Sozialistische Linke“ organisiert ist, hat der Linkspolitiker Wolfgang Gehrcke ein Schreiben fabriziert, in dem die Montagsdemonstrationen als Keim einer „neuen antirassistischen und emanzipatorischen Antikriegsbewegung“ bezeichnet werden.

Kritik kam hingegen von den Realos in der Partei. Der thüringische Linksfraktionschef Bodo Ramelow verwies darauf, dass die neurechte „Antikriegsbewegung“ bereits eine Säuberungswelle erlebt habe, bei der unliebsame Elemente entfernt wurde: „In Erfurt wurden uns nahestehende Organisatoren und Piraten ausgeschlossen und Jürgen Elsässer eingeladen…“

Diese Ablehnung einer Teilnahme der Linkspartei an den Montagsdemonstrationen resultiert nicht unbedingt aus einer besonders ausgeprägten ideologiekritischen Haltung der Realos. Wahrscheinlicher ist es, dass diese „pragmatischen“ Kräfte bereits an der Koalitionsfähigkeit ihrer Partei bei den nächsten Bundestagswahlen arbeiten. Eine Kooperation mit einer dubiosen, von Verschwörungstheoretikern durchsetzten Bewegung stört diese Koalitionsbestrebungen nur.

Zu den Befürwortern eines linken Engagements bei den Montagsdemos zählt auch die Linken-Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel, die auf den Montagsdemos vor allem Menschen ausfindig machen wollte, die auf „der Suche nach alternativen Informationen und Erklärungen“ seien. Anhand des Begriffs der Verschwörungstheorie versuchte Hänsel darzulegen, dass es durchaus Anknüpfungspunkte zwischen den ideologischen Hervorbringungen im Umfeld der Montagsdemos und linker Kritik gebe:

„Mit dem Begriff muß man natürlich seriös umgehen. Wenn aber Erklärungsmuster gebraucht werden, wie etwa, daß hinter allen Übeln die Federal Reserve Bank in den USA stehe – und vielleicht noch speziell „jüdisches Kapital“ – dann bedient das auch antisemitische Denkschablonen. Gewollt oder ungewollt. Andererseits muß es möglich sein, Interessen zu benennen: Warum etwa die USA jahrelang ukrainische Nichtregierungsorganisationen finanziert haben, wie die CIA agiert und die EU mit viel Geld versucht, dort die öffentliche Meinung zu dominieren. Das halte ich nicht für verschwörungstheoretisch. Es ist der Versuch, imperiale Politik zu erklären.“

Verkürzte Kapitalismuskritik

Und tatsächlich hat Hänsel hier recht. Das Scharnier, das die neurechten Montagsdemos mit Teilen der Linken verbindet, bildet eine verkürzte Kapitalismuskritik, die alle negativen, verheerenden Folgen kapitalistischer Vergesellschaftung auf das verwerfliche Treiben einer Gruppe von Bösewichtern zurückführt – und die die systemimmanenten Widersprüche, die der kapitalistischen Wirtschaftsweise notwendig innewohnen, konsequent ausblendet. Anstatt sich über das „jüdische Kapital“ und die „Federal Reserve Bank in den USA“ zu echauffieren, müssten die Montagsdemonstranten einfach die Interessen der USA und die Machenschaften der CIA nachvollziehen, um Krisenursachen etwa in der Ukraine zu begeifern:

„Warum etwa die USA jahrelang ukrainische Nichtregierungsorganisationen finanziert haben, wie die CIA agiert und die EU mit viel Geld versucht, dort die öffentliche Meinung zu dominieren.“

Damit stehen diese „Linken“ in der Linkspartei bereits auf ein und derselben schiefen, nach rechts abfallenden Ebene wie viele Montagsdemonstranten. Es geht nur noch darum, die Schuldigen für die Krisen und Kriege zu benennen, während die aus den eskalierenden Systemwidersprüchen resultierende Krisendynamik, die ja den eigentlichen Motor der beständig um sich geifernden Krisen bilden, ausgeblendet bleibt.

Nirgends lässt sich dies besser illustrieren als anhand eben der Ukraine, die schon vor Krisenausbruch in einer schweren Wirtschaftskrise versank und schon auf dem Weg zu einem gescheiterten Staat war (Der gescheiterte Staat von nebenan). Selbstverständlich haben Vorfeldorganisationen westlicher Außenpolitik und deren Geheimdienste in der Ukraine interveniert – und diese Interventionen haben auch einen verschwörerischen Charakter gehabt. Doch es war die verzweifelte Wirtschaftslage und innere krisenbedingte Zerrüttung des ukrainischen Staatsapparates, die diese westliche Intervention überhaupt erst „erfolgreich“ machte. Und es ist die Weltkrise des Kapitalverhältnisses, das an seiner Produktivität erstickt, die den hoffnungslos überschuldeten „Westen“ überhaupt dazu verleitet, solch aggressive und ungemein riskante geopolitische Abenteuer überhaupt erst zu wagen.

Der Kapitalismus ist durch die subjektlose Herrschaft des marktvermittelten Prinzips der Kapitalverwertung gekennzeichnet. Einzelne Akteure – selbst die mächtigsten Politiker, Banker und Kapitalisten – fungieren nur als Vertreter ihrer ökonomischen oder politischen Funktion. Eine Überwindung der Krise und der durch diese Krise hervorgebrachten Kriege wäre somit nur durch die Überwindung des Prinzips der Kapitalverwertung – der hierdurch konstituierten Wertvergesellschaftung – möglich.

Der Verschwörungstheoretiker aber sieht die Schuldigen für die Krisen und Krise hingegen bei den „Charaktermasken“ (Marx), die dieses System fabriziert. Abhängig von den eigenen Präferenzen und Dispositionen werden sie dann bei der Fed, den Rothschilds oder gleich in einer im totalen Fieberwahn halluzinierten jüdischen Weltverschwörung ausgemacht.

Diese Schuldigen werden somit – bei vielen Montagsdemonstranten wie auch vielen Politikern der Linken – vorzugsweise in der Finanzsphäre ausgemacht. Die einseitige Kritik der Banken und der Finanzsphäre, die mit ihrer „Gier“ die schöne Marktwirtschaft in den Ruin getrieben haben sollen, bildet somit einen weiteren Anknüpfungspunkt zwischen dieser „traditionellen“ Linken und der neuen Rechten, die angeblich keine mehr sein will. Die Banken und die Finanzsphäre, die mit ihrer Kreditvergabe und Schuldenproduktion ein hyperproduktives, an der eigenen Produktivität erstickendes spätkapitalistisches System überhaupt noch aufrechterhalten, werden zu den Verursachern der Krise gestempelt. Die Ursachen der Krise, die in den Widersprüchen kapitalistischer Warenproduktion zu verorten sind (Die Krise kurz erklärt), werden so überblendet von der Wut auf die gierigen Banker und das Finanzkapital, das schon die Nazis als „parasitär“ und „jüdisch“ imaginierten.

Die von den Nazis ersonnene Unterscheidung zwischen dem „guten“ Produktionskapital und dem „bösen“ Finanzkapital, die gerade viele „Finanzmarktkritiker“ in der Linkspartei implizit teilen, ermöglich eine Annäherung über die politischen Lager hinweg. Auch hier mögen sich viele Linke einbilden, dass man den Montagsdemonstranten nur ihre Obsession mit dem Bankhaus Rothschild austreiben müsse, um sie auf den „richtigen“ Weg seriöser Finanzmarktkritik zu führen. In Wahrheit wird es sich wohl umgekehrt verhalten – die einseitige Bankenkritik stellt oftmals den ersten Schritt zum Abdriften vieler Linker dar.

Ein Paradebeispiel für diesen schiefen Weg nach Rechts stellt gerade der ehemalige Linke Jürgen Elsässer dar, der kurz vor seinem Abdriften in die rechte Szene sich in überschäumender Finanzmarktkritik und immer neuen Verschwörungstheorien übte. Es ist zudem kein Wunder, dass die auf Bankenkritik spezialisierte Sahra Wagenknecht auch mal lobende Worte für das Programm der Alternative für Deutschland finden kann, die laut der ehemaligen Frontfrau der „Kommunistischen Plattform“ der PDS „in vielen Punkten recht“ haben solle.

Das Elend des linken Populismus

Einen weiteren Impuls, der zur Ausbildung von Querfronttendenzen innerhalb der Linken beiträgt, stellt der linke Populismus dar, den vor allem Oskar Lafontaine in diese Partei getragen hat. Der Populismus bemühe sich, „die Bevölkerung zu verstehen“, er schaue den Menschen „aufs Maul“, erläuterte Lafontaine.

Der Populist sieht sich somit als der Erfüllungsgehilfe „des Volkes“, der den Volkswillen artikuliert und zur Geltung bringt. Der Denkfehler dieses „populistischen“ Politikverständnisses dabei ist offensichtlich. Hierbei wird ja unterstellt, dass die Bevölkerung ihren Standpunkt und ihren Willen frei, in einem gleichberechtigten Diskurs artikulieren kann, der ohne ideologische Verzerrungen wäre. Die Weisheit liege im Volke – dies könnte man als die Maxime des Populismus bezeichnen.

Ausgeblendet wird dabei die diskursformende Macht der Massenmedien, der von der Kulturindustrie formierte „Verblendungszusammenhang“ (Adorno), der Stimmungen und Meinungen nahezu nach Belieben formen kann. Ohne eine egalitäre Medienstruktur kann sich kaum ein freier Diskurs entwickeln. Der „Stammtisch“, dem der Populist „aufs Maul schauen“ möchte, kaut nur das wieder, was ihm der Medienmainstream vorgesetzt hat. Ein Beispiel: Bei der Etablierung von Volksbefragungen in der Bundesrepublik würde wohl eine Kampagne des Springerkonzerns ausreichen, um – etwa nach einem skandalisierten brutalen Kindsmord – die Einführung der Todesstrafe durchzusetzen.

Deswegen scheitert der linke Populismus auch immer wieder an seinen eigenen Mitteln, die den Zielen der Linken (Emanzipation und Aufklärung der Menschen über ihre sozialen Verhältnisse) zuwiderlaufen, wie nicht nur an der berüchtigten „Fremdarbeiterrede“ Lafontaines deutlich wird. Der rechte Populismus, der auf ein Bekräftigen der bereits vorhandenen Ressentiments abzielt, funktioniert hingegen einwandfrei. Wie anschlussfähig aneinander Rechts- und Linkspopulismus aufgrund derselben Prämissen sind, hat Oskar Lafontaine zusammen mit dem CSU-Renegaten Peter Gauweiler bei einer gemeinsamen kameradschaftlichen Veranstaltung im Sommer 2009 unter Beweis gestellt. Bei einem „skurrilen Wahlkampfauftritt“ hätten sich Lafontaine und Gauweiler die Bälle zugespielt und links und rechts durcheinandergewirbelt, resümierte Spiegel Online.

Dabei ist es kein Zufall, dass die Krise in der Ukraine und die damit einhergehende erneute geopolitische Konfrontation zwischen dem Westen und Russland zum Katalysator dieser Querfronttendenzen wurden. Russland stellt den einzigen nennenswerten Machtfaktor dar, der den Durchmarsch der extremen ukrainischen Rechten behindert. Insofern sind die Sympathien vieler Linker für die prorussischen Kräfte in der Ukraine nachvollziehbar.

Für die Rechten hingegen ist es gerade der autoritäre und reaktionäre Charakter des russischen Staates – etwa die schwulenfeindliche Gesetzgebung des Kreml -, der anziehend wirkt. In Moskau sehen so viele Rechte, wie etwa Jürgen Elsässer, das autoritäre Gegenmodell zum degenerierten und von „Gender Mainstream“ verwüsteten Westen. Diese Koinzidenz rechter und linker der Standpunkte zur Ukraine-Krise, bei der sich reaktionäre Wunschträume mit antifaschistischem Kalkül überschneiden, brachte erst eine Konstellation hervor, bei der Linke und Rechte auf den gleichen Demos auflaufen können.

Querfront voll im Trend der Zeit

Diese Tendenzen zur Ausbildung einer Querfront, in der die fundamentalen, seit der französischen Revolution etablierten Unterschiede zwischen linker und rechter Politik verschwinden sollen, stellen aber auch ein Symptom tief greifender gesamtgesellschaftlicher Umwälzungen dar, die objektiv zur Erosion des politischen Koordinatensystems in seiner „traditionellen“ Form beitragen.

Zum einen sind da die Verheerungen der Kulturindustrie zu nennen, die inzwischen zu einem Rückzug der Schriftkultur und zur Dominanz des bewegten Bildes und der Symbolik (Fernsehen, Kino, Netz 2.0) in der gesellschaftlichen Kommunikation geführt haben. Die Symbolproduktion ersetzt die Begriffsbildung, ein Zug zum Archaischen macht sich breit, während Wörter zu leeren Sprachhülsen verkommen, die je nach Interessenslage von PR-Agenturen modelliert und mit passenden Bedeutungen aufgeladen werden – man denke nur an die Wandlungen des Begriffs „Reform“ in den vergangenen Jahrzehnten! „Denn eben wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.“ Diese teuflische Eingebung Mephistos hat die Kulturindustrie zu längst ihrer Maxime erhoben.

Die Auflösung der Begriffe, des in einem sozialen Prozess geknüpften Bandes zwischen Wort und Begriff, bringt eine Generation hervor, die kaum noch zur Begriffsbildung fähig ist. Viele Montagsdemonstranten „nervt“ die Unterscheidung zwischen „Links“ und „Rechts“ nur noch, sie erscheint ihnen willkürlich, sie können diese Wörter nicht mehr mit einem Realitätsgehalt aufladen, weil sie nach jahrelangem kulturindustriellen Dauerbombardement gewohnt sind, Wörter nur noch als hohle „Images“ wahrzunehmen – als leere Hülsen, als Symbole, die in PR-Kampagnen nach (Markt-) Bedarf modelliert werden.

Der „traditionellen“ Linken sind ihre historischen Bezugspunkte und ihr politisches Koordinatensystem abhandengekommen

Der im Spätkapitalismus voranschreitenden Auflösung der Schriftkultur korrespondiert ein krisenbedingter Umbruch des politischen Überbaus, der tatsächlich eine Neubestimmung dessen notwendig machen würde, was linke oder rechte Politik sei. Der „traditionellen“ Linken sind ihre historischen Bezugspunkte und ihr politisches Koordinatensystem abhandengekommen. Beim traditionellen linken Projekt der Emanzipation/Befreiung des Menschen galt das Proletariat, galt die Arbeiterklasse als das tragende Subjekt, während die Marxsche Geschichtsphilosophie (Historischer Materialismus) den Emanzipationsprozess zu einer historischen Notwendigkeit verklärte. Die antikapitalistische Linke sah sich somit als die progressive, vorwärtsschreitende Vertreterin der Interessen der Arbeiterklasse, während die – reaktionäre, rückwärtsgewandte – Rechte mit den Interessen des Kapitals assoziiert wurde.

Mit der Einbindung der Arbeiterklasse in die kapitalistische Arbeitsgesellschaft, die spätestens in dem Nachkriegsboom abgeschlossen wurde, ging aber der Linken ihr „revolutionäres Subjekt“ verloren. Die Arbeiterklasse, die doch eigentlich die Revolution machen sollte, erfuhr nicht nur eine vollständige rechtliche Gleichstellung, sie wurde von einem Prozess der Erosion ergriffen, bei dem das Industrieproletariat aufgrund fortgesetzter Rationalisierung der Warenproduktion immer weiter abschmolz – bis es nur noch einen kleinen Teil der Lohnabhängigen umfasste.

Zudem wurde spätestens mit dem Zusammenbruch des real existierenden Staatssozialismus das progressive Selbstverständnis der Linken – der Glaube an eine gesetzmäßige Aufhebung des Kapitalismus – erschüttert. Der blinde Zukunftsglaube ist illusorisch. In die Zukunft blickend können die Menschen realistischerweise keine sozialen Verbesserungen, sondern Verschlechterungen erwarten. Eigentlich befinden sich schon seit der neoliberalen Wende in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts alle sozialen und zivilisatorischen Errungenschaften, die dem Kapitalismus von der antikapitalistischen wie sozialdemokratischen Linken abgetrotzt wurden, unter Dauerbeschuss.

Diese Erschütterungen brachten eine orientierungslose und „konservativ“ ausgerichtete Restlinke hervor, die in Abwehrkämpfen soziale Errungenschaften zu verteidigen versucht, die alten, von der gesellschaftlichen Entwicklung längst widerlegten „Wahrheiten“ mit einer an religiöse Dogmen erinnernden Inbrunst verteidigt – und die in der Rückkehr zu vergangenen Gesellschaftszuständen („Rheinischer Kapitalismus“) und Politikrezepten (wie dem Neokeynesianismus) ein Gegenmittel zur derzeitigen Krise zu finden glaubt. Etliche Linke-Politiker sehen beispielsweise in der Rückkehr zum Nationalstaat den geeigneten Weg aus der Eurokrise, womit sie auch bei Rechten auf offene Ohren stoßen. Der sozialen Massenbasis, des „revolutionären Subjekts“ beraubt, sind nun einige Linke offensichtlich bereit, auch im Trüben nach neuen „Massen“ zu fischen.

Dabei hat die mit dem Kapitalismus entstehende Zweiteilung des politischen Spektrums in linke und rechte Kräfte immer noch ihre Daseinsberechtigung, die wohl erst mit dem Kapitalismus erlöschen würde. Abstrakt betrachtet strebt die Linke nach einer Verringerung des menschlichen Leidens, das die kapitalistische Vergesellschaftung durch ihre monströsen Widersprüche mit sich bringt. Die radikale Konsequenz dieses Strebens ist der Kampf um Befreiung und Emanzipation. Die Rechte betreibt eine Vergötterung und Legitimierung des Leidens, das die Individuen in der gegebenen Gesellschaftsformation erfahren. Entweder wird dieses Leiden religiös legitimiert oder – wie gegenwärtig – durch Rückgriff auf Sachzwänge und eine manische Sündenbocksuche. Die letzte Konsequenz rechter Politik stellt die Unterwerfung unter das Bestehende dar.

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