Rassistische Übergriffe in Sofia

„Junge Welt“, 17.08.2007
Skinheads überfielen Roma-Stadtteil. Ghetto-Leben in massiver Armut und Diskriminierung

Tagelang kam die bulgarische Hauptstadt Sofia nicht zur Ruhe. Dutzende rechtsradikaler Skinheads überfielen Anfang der Woche den mehrheitlich von Roma bewohnten Stadtteil Krasna Poljana und lieferten sich eine Massenschlägerei mit dessen Einwohnern. Bis zu 200 Personen sollen Polizeiangaben zufolge an Auseinandersetzungen beteiligt gewesen sein. Bereits am Sonntag kam es zu einem ersten Übergriff, als etwa 30 rechtsextreme Schläger über drei jugendliche Roma herfielen und einen von ihnen schwer verletzten. In den folgenden Nächten beteiligten sich Hunderte Roma an Protesten und gewalttätigen Ausschreitungen.

Die Roma-Gemeinschaft des Sofioter Stadtteils Fakulteta, die größtenteils als Müllsammler ihren Lebensunterhalt zu bestreiten versucht, drohte am 14. August mit einem mehrtägigen Streik, um gegen die andauernden Angriffe zu protestieren. Der Vorsitzende der Partei Euroroma, Tswetelin Kantschew, berichtete während einer Pressekonferenz von weiteren Übergriffen am Montag im Bezirk Zapaden Park.

Zudem wurden Vorwürfe gegen bulgarische Massenmedien und Politiker laut, die mit rassistischen Äußerungen die Auseinandersetzungen noch angefacht hatten. Radio Bulgarien berichtete von »Zigeunern auf den Straßen, die mit Äxten und Pfählen bewaffnet waren und ›Tod den Bulgaren‹ riefen«. Der stellvertretende bulgarische Innenminister Kamen Penkow machte ausschließlich »Roma-Banden« für die Unruhen verantwortlich und behauptete, es gebe keine Skinheads in den betroffenen Stadtbezirken. Die nationalistische Partei VMRO sieht sogar die bulgarische Bevölkerungsmehrheit von den Roma, die ca. fünf Prozent der Bewohner ausmachen, diskriminiert: »Wir verlangen, daß dieser Mißbrauch eingestellt wird und alle illegal errichteten Roma-Ghettos zerstört werden«, hieß es in einer Presseerklärung der Nationalisten.

In massiver Diskriminierung sieht auch der Roma-Parlamentsabgeordnete Toma Tomow die Ursachen der jüngsten Unruhen doch von dieser sei die immer noch als »Zigeuner« beschimpfte Minderheit betroffen. Die ökonomische Benachteiligung der bulgarischen Roma äußert sich in einer ungleich höheren Arbeitslosenrate als im Landesdurchschnitt, die in einigen Gemeinschaften durchaus an die 90 Prozent heranreicht. Die Einschulungsrate der Erstkläßler beträgt bei dieser Minderheit laut einer Studie des Open Society Institute von 2007 gerade mal – je nach Region – 60 bis 77 Prozent, auf weiterführende Schulen gehen nur sechs bis zwölf Prozent aller Roma-Kinder. Derzeit hat ein Viertel dieser über 370000 Menschen zählenden Minderheit keinerlei Schulbildung genossen. Die Mehrheit der Roma lebt zudem unter der Armutsgrenze, an die 65 Prozent sollen hiervon betroffen sein.

In einem Bericht des Europarates von 2003 heißt es: »Das größte Problem rührt aus der Tatsache, daß die Distrikte, in denen Roma leben, sich in Ghettos verwandeln. Die meisten Roma-Nachbarschaften bestehen aus Slums, die ohne Planung und Erlaubnis auf Gemeindeland errichtet wurden … die Menschen leben dort ohne öffentliche Dienste, ohne Krankenversorgung, öffentlichen Transport, Kanalisation oder Müllentsorgung.«

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