Tschechien vor Neuwahlen?

„Junge Welt“,  09.08.2013
Übergangsregierung verliert Mißtrauensvotum. Rechte geschwächt

Tschechiens Präsident MiloÅ¡ Zeman mußte am Mittwoch einen politischen Rückschlag verkraften. Das von ihm ohne Beteiligung des Parlaments ernannte Übergangskabinett von Ministerpräsident Jirí Rusnok verfehlte bei der Vertrauensabstimmung im tschechischen Unterhaus die notwendige Mehrheit von 101 Abgeordneten. Für die »Expertenregierung« des ehemaligen Sozialdemokraten Rusnok stimmten 93 Parlamentarier, die sich vornehmlich aus den Reihen der sozialdemokratischen und kommunistischen Parlamentsfraktionen rekrutierten. Genau 100 Abgeordnete aus dem konservativen und rechtsliberalen Lager der ehemaligen Regierungsparteien sprachen Rusnok ihr Mißtrauen aus, sieben Parlamentarier enthielten sich.

Der Mittwoch brachte zwar einen – nicht unerwarteten – politischen Rückschlag für Zeman, doch zugleich sind die Rechtsparteien weiter in die Defensive geraten. Der Grund: Auch sie selbst konnten bei der Mißtrauensabstimmung keine Mehrheit erringen, da zwei Politiker der konservativen Demokratischen Bürgerpartei ODS sich der Stimme enthielten. Zeman hatte bereits vor der Abstimmung erklärt, daß er die Regierung Rusnok weiterhin kommissarisch im Amt belassen werde. Rusnok selbst glaubt, so noch »drei bis vier Monate« die Geschäfte führen zu können. Zeman, der nach heftigen politischen Auseinandersetzungen 2007 die Sozialdemokraten verließ, erklärte, bis zum Ende der Antikorruptionsermittlungen gegen hochrangige konservative Politiker keine neuen Regierungsaufträge an Rechtsparteien zu vergeben. So wolle er verhindern, daß Minister ihre Ressorts »aus dem Gefängnis leiten« müßten.

Als klaren Punktsieg kann der Präsident die bis zuletzt unsichere Unterstützung der Sozialdemokraten der CSSD für seinen Regierungschef verbuchen. Erst am Vorabend der Vertrauensabstimmung gab Bohuslav Sobotka, der Vorsitzende der CSSD, dem innerparteilichen Druck nach. Nach der gescheiterten Vertrauensabstimmung verstärkten die Vorsitzenden der CSSD wie auch der Kommunistischen Partei (KSCM) ihre Forderungen nach vorgezogenen Neuwahlen. Sobotka erklärte, seine CSSD werde eine Abstimmung über die vorzeitige Auflösung des Parlaments zum »frühestmöglichen Zeitpunkt« anstreben. Vojtech Filip, der Vorsitzende der KSCM, warnte die kommissarische Regierung zudem davor, nach der verlorenen Vertrauensabstimmung »wichtige Entscheidungen« zu fällen. Sie sollte sich »auf die Administration des Staates« beschränken.

Die Chancen auf Neuwahlen, möglicherweise schon im Oktober, sind indes aufgrund eines Meinungsumschwungs in der liberalkonservativen ehemaligen Regierungspartei TOP 09 stark gestiegen. Angesichts der verfehlten Mehrheit der Rechtsparteien bei der Mißtrauensabstimmung gegen das Kabinett Rusnok erklärte sich die TOP-09-Parlamentsfraktion bereit, Neuwahlen zuzustimmen. Somit würden CSSD, KSCM und die vom ehemaligen Außenminister Karel Schwarzenberg geführte TOP 09 über die notwendige Drei-Fünftel-Mehrheit verfügen, um – auch ohne Zustimmung Zemans – eine Selbstauflösung des Parlaments und somit Neuwahlen durchzusetzen.

In einem solchen Fall könnte Tschechien als erstes postsozialistisches Land Mitteleuropas eine Regierungskoalition unter Beteiligung kommunistischer Politiker erleben. Neuste Umfragen sehen die CSSD derzeit mit 34 Prozent der Stimmen deutlich vorn. Die weiterhin antikapitalistisch ausgerichteten Kommunisten der KSCM würden mit 18,5 Prozent klar zweitstärkste Kraft werden, so daß eine etwaige Linkskoalition auf eine klare Mehrheit käme. Die TOP 09 Schwarzenbergs steht derzeit bei 15 Prozent, die rechtskonservative ODS nur noch bei rund 13 Prozent. Es finde derzeit nicht nur eine Umschichtung des Wähler­zuspruchs innerhalb verschiedener Rechtspartien statt, bemerkte das Umfrageinstitut Median. Die Position der Rechten im politischen Spektrum habe sich aufgrund der letzten Skandale auch »beachtlich geschwächt«.

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