Bewährte Rüstkammer

„Junge Welt“, 06.03.2007
Steigende Auslandsnachfrage und massives Modernisierungsprogramm verschaffen russischen Wehrtechnikproduzenten zweistellige Zuwachsraten

Die 1550 offiziell registrierten, russischen Waffenhersteller können sich über eine deutlich gestiegene internationale Nachfrage freuen. Die Summe aller ausländischen Aufträge an russische Rüstungsunternehmen erreichte 2006 einen Wert von umgerechnet 30 Milliarden US-Dollar. Das war nahezu eine Verdopplung gegenüber dem Vorjahr. Die Exporteinnahmen der Waffenschmieden summierten sich 2006 auf 6,4 Milliarden US-Dollar.
Neue Absatzmärkte
Moskaus wichtigste Waffenabnehmer sind China und Indien. Auf beide aufstrebende Großmächte entfallen 62 Prozent aller Aufträge. Staaten des Mittleren Ostens und Afrikas haben ihren Anteil am Auftragsvolumen russischer Waffenhersteller auf 21 Prozent gegenüber 2005 verdoppelt. Bemerkenswert ist auch der sprunghafte Anstieg der Nachfrage nach russischer Militärtechnik in Lateinamerika – einem traditionell von US-Herstellern dominierten Waffenmarkt. Der Anteil dieser Region am Auftragsvolumen stieg von 0,5 Prozent in 2005 auf 7,7 Prozent im vergangenen Jahr, wobei Venezuela und Mexiko zu den wichtigsten Kunden gehörten.

Der Export russischer Militärtechnik wird von dem staatlichen Monopolunternehmen Rosoboronexport abgewickelt. Auftragsvolumen: 20 Milliarden US-Dollar. Einzig die Kampflugzeughersteller Suchoj und MiG verblieben außerhalb des Rosoboronexport-Imperiums. Dem ist es in letzter Zeit gelungen, in den strategisch sensiblen und bislang von den USA dominierten Waffenmarkt des Mittleren Ostens einzusteigen. Am 22. Februar gab das Unternehmen bekannt, bilaterale Abkommen u. a. mit Saudi-Arabien, Kuweit, Jemen und Katar geschlossen zu haben. Vor allem russische »Luftverteidigungssysteme, Panzer, Kampfflugzeuge, Hubschrauber, Kleinwaffen und Panzerabwehrsysteme« erfreuen sich einer hohen Nachfrage, so Rosoboronexport-Chef, Nikolaj Dimidjuk.

Eine weiterer Faktor, der zum zehnprozentigen Wachstum der russischen Militärindustrie in 2006 beitrug, war die gestiegene Binnennachfrage. Im Zuge eines von Rußlands Verteidigungsministerium Anfang Februar angekündigten massiven Rüstungsprogramms sowie einer strategischen Neuausrichtung russischer Verteidigungspolitik dürfte den Waffenproduzenten des Landes auch künftig die Arbeit nicht ausgehen. Der inzwischen zum ersten stellvertretenden Ministerpräsidenten ernannte frühere Verteidigungsminister Iwanow will in den kommenden acht Jahren umgerechnet 145 Milliarden US-Dollar für eine umfassende Modernisierung der Streitkräfte bereitstellen. An die 45 Prozent der Wehrtechnik der russischen Armee sollen laut Iwanow während dieses Aufrüstungsprogramms ersetzt werden. 100 000 modere Militärfahrzeuge, zahlreiche strategische Bomber und 31 Kriegsschiffe werden offiziellen Angaben zufolge bis 2015 den Streitkräften zu Verfügung gestellt. Auch sollen 50 neuartige Interkontinentalraketen des Typs Topol-M aufgestellt werden, um auf die von den USA in Polen und Tschechien geplante Raketenabwehr eine adäquate strategische Antwort zu finden. Rußlands Spitzenpolitiker hatten bei mehreren Gelegenheiten ihre grundlegende Ablehnung dieses Projekts bekräftigt.
Spannungen mit den USA
Die zunehmenden Spannungen mit den USA sind auch einer der Hauptgründe für die Steigerung der Verteidigungsausgaben Rußlands. Diese sollen 2007 um 23 Prozent auf inzwischen 32,4 Milliarden US-Dollar steigen. Ein Großteil dieser Mehrausgaben soll in Forschungsprojekte zur Entwicklung modernster Angriffs- und Verteidigungsraketen fließen. Der Rüstungskonzern Almaz Antei erhielt Ende Februar den prestigeträchtigen Auftrag, ein neuartiges Luftabwehrsystem zu entwickeln, das zugleich gegen Kampfflugzeuge, Raketen und weltraumgestützte Waffensysteme eingesetzt werden kann.

Die sich verschlechternden Beziehungen zwischen Rußland und dem Westen führen überdies zu einer grundlegenden strategischen Umorientierung der Moskauer Verteidigungspolitik. Am 20 Januar fand in der Russischen Akademie der Militärwissenschaft eine hochkarätig besetzte Konferenz statt, auf der einige Elemente einer künftigen Militärdoktrin Rußlands vorgestellt wurden. Laut dem referierenden Armeegeneral Juri Balujewski bilden das »Streben der Vereinigten Staaten nach globaler Führung« und die Osterweiterung der NATO die größten Bedrohungen russischer Sicherheit. Um gegenüber diesen Gefahren gewappnet zu sein, müsse die russische Militärorganisation laut Balujewski »politisch und finanziell gestärkt werden«. Dies beinhalte eine »Verstärkung der Nuklearstreitkräfte« und die permanente Erhöhung der Militärausgaben von 2,5 Prozent des Bruttosozialprodukts auf 3,5 Prozent.

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