Deutschlands Netzwerke im Osten

„German Foreign Policy“, 15.12.2010

Polnische Regierungsberater stufen die Einflussarbeit deutscher Stiftungen und Entwicklungsorganisationen in Osteuropa und Zentralasien als „außergewöhnlich vorteilhaft“ für Berlin ein. Dies geht aus einer Studie hervor, die das polnische Zentrum für Oststudien (OÅ›rodek Studiów Wschodnich, OSW) kürzlich veröffentlicht hat. Die Studie untersucht die Tätigkeiten, die parteinahe sowie Wirtschaftsstiftungen östlich der Bundesrepublik ausüben, und analysiert die Erfolge deutscher Entwicklungspolitik bei der Förderung deutscher Exporte. Dabei wirkten sich vor allem die Netzwerke, die die Einflussapparate Berlins in die Ministerialbürokratien und die Wirtschaftseliten der Zielstaaten knüpften, zugunsten deutscher Interessen aus, berichtet das OSW. Der Studie verdient nicht nur Aufmerksamkeit, weil sich in ihr der skeptische Blick eines Landes ausdrückt, das in der Geschichte immer wieder Opfer deutscher Aggressionen geworden ist. Da die polnischen Eliten selbst Ziel deutscher Einflussarbeit sind, baut die Untersuchung außerdem auf Insiderwissen auf.

Historische Erfahrung

Das Zentrum für Oststudien (OSW) ist eine von drei Denkfabriken, die institutionell eng mit dem polnischen Außenministerium verbunden sind und zu den wichtigsten Vorfeldorganisationen der Warschauer Außenpolitik zählen. Neben dem für Osteuropa und Zentralasien zuständigen OSW in Warschau unterhält die polnische Regierung noch das Westinstitut (Instytut Zachodni) in Poznan und das Zentrum für Internationale Beziehungen (Centrum Stosunków MiÄ™dzynarodowych, CSM, ebenfalls in Warschau). Die Gliederung der Thinktanks in ein West- und ein Ostinstitut spiegelt eine Konstante polnischer Außenpolitik wider: Aufgrund historischer Erfahrungen mit deutsch-russischen Aggressionen – und trotz derzeitiger Entspannung – sucht Polen stets die wirtschaftlichen und geostrategischen Planungen der übermächtigen Nachbarstaaten Deutschland und Russland mit besonderer Sorgfalt zu ergründen.

Soft Power

Die jüngst vom OSW publizierte Studie „Deutsche Netzwerke im Osten“ („Niemieckie Sieci na Wschodzie“) [1] konzentriert sich auf die „weichen“ Methoden der Einflussnahme, die von den Autoren unter dem Begriff „Soft Power“ zusammengefasst werden. Hierunter zählt das OSW den Aufbau von Netzwerken, die politische Lobbytätigkeit, die sogenannte Entwicklungshilfe und die kulturelle und wissenschaftliche Kooperation. Zu den wichtigsten Zielregionen deutscher Einflussnahme zählten dem OSW zufolge der Südkaukasus, Zentralasien und die „östlichen Nachbarn der EU“. Die deutschen Aktivitäten in diesen Ländern seien „unabhängig“ von der konkreten politischen Situation. Sie folgten einer „langfristigen Strategie zur Etablierung Deutschlands als dem wichtigsten europäischen Handels- und Politikpartner dieser Staaten.“

Überall präsent

Eine zentrale Funktion bei der politischen Einflussnahme wie auch beim Aufbau von deutschen Netzwerken in Osteuropa und Zentralasien kommt laut OSW den deutschen parteinahen Stiftungen zu. Mit Ausnahme der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die bislang nur ein Büro für die postsowjetischen Länder in Moskau unterhält, sind alle deutschen Parteistiftungen in den meisten Staaten der ehemaligen Sowjetunion tätig. Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung, die Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU, die Hanns-Seidel-Stiftung (CSU), die Friedrich-Naumann-Stiftung (FDP) und die Heinrich-Böll-Stiftung von Bündnis 90/Die Grünen haben ein enges Netzwerk von Büros im gesamten postsowjetischen Raum aufgebaut. Die deutschen Stiftungen unterhalten Einrichtungen in Russland, der Ukraine, Belarus, Georgien, Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgisistan, Usbekistan und Turkmenistan.

„Deutsche Standpunkte vermitteln“

Die Stiftungen seien in den betreffenden Ländern publizistisch tätig, berichtet das OSW; sie organisierten Konferenzen und Seminare, zudem würden Schulungen durchgeführt und Bildungsreisen finanziert. Hierbei zielten diese Vorfeldorganisationen deutscher Außenpolitik vor allem auf die Nachwuchseliten der betreffenden Staaten, die schon früh in deutsche Netzwerke eingebunden werden sollten. Es gehe um den Aufbau eines „Netzes von Kontakten“, das „politische Entscheidungsträger und junge, vielversprechende politische und wirtschaftliche Führungspersönlichkeiten“ sowie Personen aus den Medien und der Gesellschaftsspitze umfassen solle. Die Parteistiftungen betrieben hierbei eine Politik, die auf „die Unterstützung politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Veränderungen“ in den postsowjetischen Ländern abziele. Die langfristig in Osteuropa und Zentralasien tätigen Einrichtungen seien überdies in der Lage, der „politischen Elite und den Vertretern meinungsbildender Berufe (etwa Journalisten und Wissenschaftlern) des betreffenden Landes die deutschen Standpunkte in vielen Fragen der Wirtschafts- und Außenpolitik zu vermitteln“.

Elitennetzwerke

Eine ähnliche Aufgabenstellung – den Aufbau informeller Netzwerke zwischen einheimischen und deutschen Eliten – verfolgen laut OSW auch die privaten deutschen Stiftungen, die im Osten tätig sind. Der wichtigste Unterschied gegenüber den parteinahen Stiftungen bestehe darin, dass die Stiftungen der deutschen Wirtschaft keine dauerhaften Büros im Osten einrichteten, sondern projektbezogen arbeiteten. Zu den wichtigsten Einflussorganisationen in den postsowjetischen Staaten zählt das OSW die Robert Bosch Stiftung, die BMW Stiftung Herbert Quandt, die mit der ThyssenKrupp AG verflochtene Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und die Alfred Herrhausen Gesellschaft der Deutschen Dank. Vermittelst dieser Stiftungen kofinanziert die deutsche Wirtschaft eine Vielzahl von Projekten, etwa das Netzwerk für Osteuropaberichterstattung „n-ost“, ein deutsch-russisches Begegnungsprogramm für junge Führungskräfte („German-Russian Young Leaders Program“) oder das „Projekt Foresight“, in dessen Rahmen die Grundzüge einer neuen „Multipolaren Weltordnung“ diskutiert werden sollen. Die privaten Stiftungen zielten laut OSW hierbei noch stärker darauf ab, Kontakte in einen „engen Kreis von Personen aus höchsten Stellen der staatlichen Administration und aus Wirtschaftszirkeln“ zu intensivieren.

Exportinteressen

Ein weiteres wichtiges Moment der deutschen Einflussnahme im Osten bildet dem OSW zufolge die sogenannte Entwicklungshilfe, die von Berlin zur Durchsetzung wirtschaftlicher und geostrategischer Zielsetzungen instrumentalisiert werde. Der Schwerpunkt der deutschen Entwicklungshilfe in der Region habe sich hierbei von den mittelosteuropäischen Staaten weiter nach Osten verlagert. Auch bei der Realisierung konkreter Entwicklungshilfeprojekte sei Berlin bestrebt, Beziehungsnetzwerke zur den Administrationen der betreffenden Länder aufzubauen. Bei den Projekten würden ausschließlich deutsche Technologie und deutsche Produkte zum Einsatz gelangen, was später zur „kommerziellen Zusammenarbeit“ führen solle. Mittelbar würden hierdurch deutsche Exportinteressen bedient; für diese Formen „beiderseitiger Zusammenarbeit“ sind laut Berechnungen des OSW über 60 Prozent der Entwicklungshilfemittel vorgesehen. Durch Beratungstätigkeiten bei Gesetzesprojekten seinen überdies „die Deutschen bemüht, Einfluss auf die Ausgestaltung der rechtlich-wirtschaftlichen Verfassung“ der jungen postsowjetischen Staaten zu nehmen.

Märkte formen

Wie das OSW beobachtet, kommen bei der Realisierung deutscher Entwicklungshilfeprojekte spezifische Durchführungsorganisationen zum Einsatz – die GTZ bei technischer Kooperation, die KfW im Zusammenhang mit Finanzprojekten oder die DEG (Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft) bei wirtschaftlicher Hilfe. Das deutsche Entwicklungsministerium forciere in den postsowjetischen Staaten vor allem die „Kaukasusinitiative“, die insbesondere die „Stärkung des Energiesektors“ und die „Unterstützung der privaten Wirtschaftsinitiative“ zum Inhalt habe. Das deutsche Wirtschaftsministerium betreibe im Rahmen des Transform-Programms, das zwischen 1993 und 2003 auch in Mittelosteuropa zur Anwendung gelangte, eine Art eigener „Entwicklungshilfe“, die heute vor allem auf die Zusammenarbeit mit ukrainischen und belarussischen Wirtschaftsinstituten und Regierungsstellen abziele und unter anderem auf die „Ausformung der Gesetzgebung der betreffenden Länder in Übereinstimmung mit den Standards der EU“ sowie auf die Beeinflussung „der Debatte über ihre Steuer- und Wirtschaftspolitik“ hinwirke. Dadurch sollten die „Chancen deutscher Firmen erhöht werden, auf diese lokalen Märkte vordringen zu können“, urteilt das OSW.

Millionensummen

Die Finanzmittel, die Berlin im Rahmen dieser „Soft Power“-Strategie im Osten einsetzt, wirken – gerade im Vergleich zu der oftmals desolaten sozialen und wirtschaftlichen Lage in den betroffenen Ländern – immens. In die „kulturelle und wissenschaftliche Kooperation“ mit den Staaten Osteuropas und Zentralasiens investiere Berlin jährlich zwischen 100 und 150 Millionen Euro, berichtet das OSW. Die deutschen Entwicklungshilfeprojekte in der Ukraine, in Zentralasien und im Kaukasus hätten sich in den Jahren 2007 und 2008 im Schnitt auf 320 Millionen Euro jährlich summiert. Alleine die Konrad-Adenauer-Stiftung verfügt für ihre Auslandsaktivitäten über Projektmittel von derzeit rund 60 Millionen Euro im Jahr, von denen ein entsprechender Anteil den Büros in Osteuropa und Zentralasien zur Verfügung steht.

Mit Erfolg

Die Investitionen zahlen sich dem OSW zufolge aus. Wie das Institut feststellt, ist Deutschland „einer der wichtigsten Investitions- und Handelspartner der untersuchten Staaten“. Die postsowjetischen Staaten spielten – mit Ausnahme Russlands – noch keine herausragende Rolle als Absatzmarkt für deutsche Unternehmen, doch verzeichneten die Ausfuhren aus der Bundesrepublik in diese Länder enorme Zuwächse. Der Umfang der deutschen Exporte nach Russland, in die Ukraine, nach Kasachstan, Belarus und Moldawien stieg in der Tat von weniger als 15 Milliarden Euro im Jahr 2002 auf nahezu 40 Milliarden im Jahr 2008 – nicht zuletzt dank der unterschwelligen „Soft Power“-Einflussarbeit diverser Stiftungen und Entwicklungshilfeorganisationen.

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