Ungarn marschiert stramm nach rechts

„Junge Welt“, 19.06.2010
Fülle von Gesetzesinitiativen der regierenden Fidesz-Partei zur reaktionären Umgestaltung der Gesellschaft

Ungarns rechtskonservative Regierung um Ministerpräsident Viktor Orban scheint keine Zeit verlieren zu wollen. Mit einer Fülle von Gesetzesinitiativen bemüht sie sich darum, im Eiltempo eine möglichst weitgehende reaktionäre Umgestaltung der ungarischen Gesellschaft durchs Parlament zu peitschen. Aktuell geht es den Journalisten im öffentlich-rechtlichen Bereich an den Kragen. Ein neues Gesetz sieht den Aufbau einer nationalen Medien- und Telekommunikationsbehörde (NMHH) vor, in der die Medienaufsicht zentral zusammengefaßt werden soll. Das fünfköpfige Gremium würde laut Gesetzesvorlage vom Parlament auf neun Jahre gewählt, während der Vorsitzende der NMHH vom Regierungschef persönlich ernannt werden könnte.

Die Regierungspartei Fidesz verfügt über eine satte Zweidrittelmehrheit im Parlament. Die stramm rechten Gefolgsleute Orbans könnten somit im kommenden Jahrzehnt die Richtlinien der öffentlich-rechtlichen Medien in Ungarn bestimmen. Sie sollen nach den Vorstellungen der Fidesz auch auf einen erzkonservativen Wertekanon festgelegt werden, der unter anderem auf eine Stärkung der ungarischen Identität und Sprache, des »Gefühls der nationalen Einheit«, des »Familiensinns« und der religiösen Überzeugungen abzielt.

Ein weiteres Gesetz der rechtskonservativen Regierung treibt die ungarische Lehrerschaft auf die Barrikaden. So kündigte die Gewerkschaft PSZ am 16. Juni an, eine Verfassungsklage gegen eine von der Regierungskoalition eiligst verabschiedete Gesetzesänderung im Bildungswesen anzustrengen. Die neue Regelung ermöglicht es Kommunen und Städten, ihre Schulen an kirchliche Einrichtungen zu übergeben. Die Verlockung, sich so des »Kostenfaktors« Bildung zu entledigen, könnte sehr groß sein, da die Kirchen die volle Finanzierung der erworbenen Schuleinrichtungen sofort übernehmen müssen.

Während Fidesz die schleichende klerikale Ideologisierung des ungarischen Bildungswesens betreibt, wollen Orbans Mannen zugleich den Kampf gegen die »kommunistische Ideologie« vorantreiben. Nachdem in Ungarn längst kommunistische Symbole wie Hammer und Sichel verboten sind, wurde mit einem weiteren Gesetz am 8. Juni auch das »Leugnen kommunistischer Verbrechen« illegalisiert und somit der Holocaustleugnung gleichgestellt. Mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren kann belegt werden, wer »den vom nationalsozialistischen oder vom kommunistischen System begangenen Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, in Zweifel zieht oder in ihrer Bedeutung herabmindert«, heißt es im Gesetzestext.

Mit der Forcierung ihrer revanchistischen und großungarischen Ambitionen konnte die politische Klasse in Budapest nicht mal bis zur Vereidigung der neuen Regierung warten. Während Viktor Orban am 29. Mai mit 261 gegen 107 Stimmen zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, hatte bereits am 26. Mai die Mehrheit von 344 Parlamentariern für ein neues Staatsbürgerschaftsgesetz votiert, das den geschätzten 2,5 Millionen »Auslandsungarn« die Möglichkeit einräumt, die Staatsbürgerschaft des Landes zu erwerben. Diese Maßnahme führte umgehend zu einer Verschärfung der chronischen Spannungen Ungarns mit der Slowakei, in der Hunderttausende Bürger ungarischer Herkunft leben. Bratislava antwortete postwendend und will künftig allen Bürgern automatisch die slowakische aberkennen, wenn diese eine zweite Staatsbürgerschaft beantragen.

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