Kein Verlaß auf Merkel

„Junge Welt“, 30.04.2010
Deutsche Regierung verschleppt Griechenland-Hilfe, Spekulanten triumphieren. Neue Krisenphase markiert Ende der bislang praktizierten Defizitwirtschaft

Wer zu spät hilft, den bestraft das Leben – so könnte man die bisherige Griechenland-Politik der BRD-Regierung zusammenfassen. Angela Merkels Kabinett ist maßgeblich für ein europaweites Desaster verantwortlich. Durch ihre Blockadehaltung bei der Gewährung schneller Finanzhilfen für den am Rande eines Bankrotts taumelnden Staat hat Berlin letztlich die Refinanzierung der griechischen Schulden über die Finanzmärkte unmöglich gemacht. Nach einer Herabstufung der Kreditwürdigkeit droht Zahlungsunfähigkeit.

Die Renditen zweijähriger griechischer Bonds (also die Verzinsung der vom Staat verkauften Schuldscheine) schossen nach Bekanntgabe des Verdikts der Ratingagentur auf 15,06 Prozent. Bei den zehnjährigen Bonds stiegen die Renditen auf 9,725 Prozent, wodurch sich eine Zinsdifferenz zu BRD-Staatspapieren von 6,735 Prozent ergab.

»Die Herabstufung der Kreditwürdigkeit auf Ramschstatus ist eine Anklage gegen Angela Merkels Politik der Ausflüchte«, schimpfte der ehemalige dänische Ministerpräsident Poul Nyrup Rasmussen. Die Kanzlerin habe die Innenpolitik über europäische Solidarität gestellt, so Rasmussen unter Verweis auf die kommenden Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen. Hilfen für Griechenland wollte die Berliner Koalition erst nach diesem Urnengang gewähren, um die selbstgeschürten nationalistischen Ressentiments an Deutschlands Stammtischen bedienen zu können. Dieses Kalkül hatte Athen durchkreuzt und am vergangenen Freitag offiziell bei EU und IWF Hilfskredite beantragt. Nachdem maßgebliche BRD-Politiker hierauf weiter hinhaltend reagierten, eskalierte die Situation: »Die deutsche Forderung nach weiteren Sparmaßnahmen der Athener Regierung schüre Sorgen vor einer Pleite des Euro-Landes«, gab das Handelsblatt die Stimmung an den Finanzmärkten wieder.

Nun wird es richtig teuer werden: Bis zu 135 Milliarden Euro müssen aufgewendet werden, um Griechenland für drei Jahre von den privaten Geldgebern abzukoppeln. Denn zur Finanzierung seiner Staatsausgaben kann das Land nicht mehr an die Kapitalmärkte gehen. Auf die Bundesrepublik kommen Belastungen von bis zu 25 Milliarden Euro zu. Dabei hatten bereits die ursprünglichen deutschen Finanzierungsverpflichtungen in Höhe von 8,4 Milliarden Euro eine Welle nationalistischer Empörung ausgelöst.

Ironischerweise entspricht die Summe ungefähr den 8,3 Milliarden Euro, auf die sich 2008 deutsche Exporte nach Griechenland summierten. Hellas verkaufte im Gegenzug Waren im Wert von nur 1,9 Milliarden Euro in die Bundesrepublik. Die aggressive, exportfixierte deutsche Wirtschaftspolitik ist ursächlich für die Defizitbildung nahezu aller südeuropäischer Volkswirtschaften verantwortlich. 2008 sollen sich laut DGB-Chefökonom Dierk Hirschel die Exportüberschüsse der BRD in Europa auf rund 100 Milliarden Euro belaufen haben. Diese Überschüsse sind die Defizite der Zielländer. Südeuropa reagierte auf die teutonische Exportoffensive mit der Herausbildung einer Defizitkonjunktur, also Staats- und Privatkonsum auf Pump befeuerten die Wirtschaft.

Die BRD wird sich nicht verweigern. Denn auch der eigene Bankensektor hat bislang blendend an jenen Krediten verdient. Einer jüngsten Studie von Barclays Capital zufolge halten deutsche Finanzinstitute griechische Staatsanleihen in Höhe von 28 Milliarden Euro. Deren gesamtes Engagement in dem Land wird auf 43 Milliarden Euro geschätzt. Bei den allesamt als Pleitekandidaten gehandelten südeuropäischen Ländern Griechenland, Portugal und Spanien halten BRD-Banken Forderungen von etwa 330 Milliarden Euro. Die Schuldenkrise Südeuropas ist somit auch eine Krise des deutschen Finanzkapitals. Ungewiß bleibt ohnehin, ob die geplanten Hilfen ausreichen, ein Übergreifen der Krise auf Portugal oder gar Spanien zu verhindern.

Das Elend der Staatsfinanzen verweist auf eine ökonomische Sackgasse. Dorthin hatten sich die Regierenden manövriert, als sie nach dem Zusammenbruch der US-Investment Lehman Brothers die Defizite der Finanzmarktakteure verstaatlichten. Die von jenen Akteuren organisierte private Verschuldung in den USA – aber auch in Großbritannien, Spanien und Teilen Osteuropas – fungierte als wichtiger globaler Wirtschaftsmotor der letzten Jahrzehnte. Nach dem Zusammenbruch des neuzeitlichen Turms zu Babel, dem Kollaps der Immobilien- und Finanzmärkte, war »Vater Staat« in die Bresche gesprungen und an die Stelle des Hypotheken- oder Kreditnehmers getreten. Durch wiederum schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme wurde zudem versucht, die wegbrechende private Nachfrage zu kompensieren. Billionen Dollar und Euro wurden in die »Stabilisierung der Finanzmärkte« gepumpt.

Auch diese letzte Option kapitalistischer Krisenpolitik scheint nun an ihre Grenzen zu stoßen. Die »Konjunkturprogramme« führen die eigentlich untergegangene Defizitkonjunktur einfach weiter – bis zum Staatsbankrott. Griechenland ist nur das schwächste Glied in einer Kette sich immer weiter exzessiv verschuldender Staaten.

Das kapitalistische Weltsystem ist an seine Entwicklungsgrenzen gestoßen. Es funktioniert nur noch »auf Pump« und scheint ohne permanente Schuldenaufnahme an seinen eigenen, aus der stürmischen Produktivkraftentwicklung resultierenden, Widersprüchen, auseinanderzubrechen. Bricht solcherart finanzierte staatliche und private Nachfrage weg, setzt in der kapitalistischen Warenproduktion eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale ein, in der Überproduktion zu Massenentlassungen führt, die wiederum die Nachfrage senken und weitere Entlassungswellen nach sich ziehen.

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