700 Meter unter Tage

„Junge Welt“, 30.01.2008
Südpolnische Zeche Budryk bleibt besetzt. Kumpel seit über sechs Wochen im Streik für Lohnangleichung. Teile von ATTAC-Polen auf neoliberalen Abwegen

Nach mehr als 40 Tagen eines erbittert geführten Arbeitskampfes spitzt sich die Lage in der schlesischen Kohlezeche Budryk zu. Fast alle Beschäftigten aus dem produzierenden Bereich des Bergwerks befinden sich seit dem 17. Dezember im Ausstand, um eine Angleichung ihrer Löhne an die des Bergbaukonzerns JSW durchzusetzen, der die hochprofitable, staatliche Zeche Budryk übernehmen will. Nach Auskunft des Gewerkschafters Krzysztow Labadz gegenüber jW halten an die 500 Bergarbeiter das Betriebsgelände besetzt, über 150 davon 700 Meter unter Tage. 35 Kohlekumpel befinden sich im unbegrenztem Hungerstreik.

Streikbrecher im Einsatz

Am 25. Januar scheiterte eine weitere Verhandlungsrunde zwischen der Geschäftsführung von JSW und Gewerkschaftsvertretern der linken, kämpferischen Gewerkschaften »Sierpien 80« (August 80) und »Kadra«, die hauptsächlich den Ausstand organisieren. Die Gewerkschafter hatten sich zunächst bereiterklärt, ihre Löhne lediglich an die besonders niedrigen Entlohnungen in dem Konzernbergwerk Krupinski angleichen zu wollen. Doch der Vorstandsvorsitzende von JSW befand, die Entlohnungen dort seien gar nicht so niedrig. Darauf »haben wir uns entschlossen, wiederum den im gesamten Konzern JSW üblichen Durchschnittslohn zu fordern,« erklärte der Vorsitzende von Kadra, Grzegorz Bednarski.

Am Montag dann schlug die Betriebsleitung zurück, indem sie etwa hundert Streikbrecher anstiftete, auf das Betriebsgelänge vorzudringen und einen »Versuch zu unternehmen, die Arbeit wieder aufzunehmen,« wie es beschönigend in Presseberichten hieß. Der Vorstoß konnte von den Streikenden abgewehrt werden, doch die Betriebsleitung kündigte weitere solcher Aktionen an. Überdies wurden Polizeikräfte in der Nähe der Zeche zusammengezogen.

Die Streikenden sind einer andauernden, äußerst aggressiven Medienhetze ausgesetzt, die in reißerischen und manipulativen Artikeln und Berichten Halbwahrheiten, Verzerrungen oder notfalls glatte Lügen über die Streikenden und ihre Gewerkschaften verbreitet. Alle liberalen Medien, wie die Gazeta Wyborcza, die während der Regentschaft der konservativen Kaczynski-Zwillinge jeden Streik bejubelten, unterstützen nun bedingungslos die harte Haltung ihrer neoliberalen Administration um Premier Donald Tusk. Dabei tat sich die Journalistin Maria Trepinska vom Unternehmens­portal »Plus Biznesu« hervor, die den Gewerkschaftlern »Bereicherung« auf Kosten »hungernder Bergarbeiter« vorwarf. Für derartig plumpe Spaltungsversuche sowie etliche Jubelarien auf die Privatisierung im polnischen Bergbausektor wurde Trepinska von der Citibankgruoup mit dem »Excelenz Journalistic Award« ausgezeichnet.

Doch es ist nicht nur die nahezu hegemoniale Journaille Polens, die sich hetzerisch betätigt. Auch Teile von ATTAC-Polen machten mit. Das zur Gewerkschaft »Solidarnosc« gehörende ATTAC-Vorstandsmitglied Marek Szolc forderte in einem Artikel die Sicherheitskräfte auf, auf dem Zechengelände zu intervenieren. Einige Tage später ließ sich der »Globalisierungskritiker« mit einer Gruppe von Streikbrechern vor der Zeche Budryk vom polnischen Fernsehen filmen. Gegenüber junge Welt verteidigte Szolc seinen Standpunkt und erklärte unter anderem, Streiks seien »immer eine letzte Waffe«, und daß man auch wissen müsse, »wie ein Streik zu beenden sei«. Überhaupt gefährde der Ausstand die Bergleute.

»Private Meinung«

Der Polen-Beauftragte von ATTAC Deutschland, Norbert Kollenda, äußerte Unverständnis ob dieser Haltung: »Ich kann es nicht nachvollziehen, wie ein Gewerkschafter – egal wie er zu diesem Streik steht – fordern kann, Polizei gegen streikende Arbeiter einzusetzen.« Politisch sei zu fragen, was für eine Geisteshaltung dahinter stehe – »merken sie etwa nicht, daß sie den neoliberalen Eliten zuarbeiten?« rätselte Kollenda. Offiziell will ATTAC-Polen, das äußerst enge Kontakte zum Warschauer Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterhält, keine Erklärung zu dem Streik in Polen abgeben – die Äußerungen Szolcs werden als »dessen private Meinung« bezeichnet.

Unterdessen wandten sich die ATTAC-Vorstandsvorsitzende Ewa Ziolkowska mitsamt Vorstandsmitglied Poitr Kawiorski mit mehreren Mails an linke deutsche Gruppen und Parteien, in denen sie den Streik kritisieren, die Halbwahrheiten der polnischen Presse wiederholen sowie als »Argumentationshilfe« polnische Presseartikel beilegen – hier ausgerechnet den unsäglichen Artikel von Trepinska aus dem Unternehmerportal »Plus Biznesu.«

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