Karten neu gemischt

„Junge Welt“, 28.04.2009
Gaspoker in Zentralasien: RWE kooperiert mit Turkmenistan und macht Betreibern der westlichen Nabucco-Pipeline Hoffnung. Rußland setzt weiter auf »South-Stream«

Das geopolitische Ringen um die Energieträger Zentralasiens ist kürzlich um eine neue spektakuläre Wendung bereichert worden. Dem deutschen Energiekonzern RWE gelang es am 16. April, ein langfristiges energetisches Kooperationsabkommen mit der Regierung Turkmenistans abzuschließen. Laut dem in der turkmenischen Hauptstadt Aschgabat abgeschlossenen Vertrag soll RWE an der Erschließung all der Erdgaslagerstätten maßgeblich beteiligt werden, die im Kontinentalschelf des Kaspischen Meeres lagern. Beide Seiten betonten, daß weitere Abkommen nicht ausgeschlossen seien.

Die Übereinkunft umfaßt mehrere Elemente. Neben der Erschließung der Erdgasfelder vereinbarten beide Seiten, über die konkreten Transportwege des Erdgases nach Deutschland zu verhandeln. Dies sind gute Nachrichten für das Nabucco-Konsor­tium, das Erdgas an Rußland vorbei nach Westeuropa transportieren will und an dem RWE beteiligt ist. Die geplante Nabucco-Gaspipeline soll von Aserbaidschan ausgehend über Georgien und die Türkei bis auf das Territorium der EU verlaufen. Dieses ehrgeizige Projekt krankt bislang an mangelnden Lieferzusagen. Neben Gas aus Aserbaidschan und Turkmenistan sind auch Lieferungen aus dem Iran und sogar dem Irak im Gespräch.

Der jüngste Deal dürfte für Verstimmungen im Kreml sorgen. Rußland betrachtet die Region als seine Interessensphäre. Das Nachrichtenportal german-foreign-policy konstatierte in diesem Zusammenhang eine gewisse Arbeitsteilung zwischen deutschen Energiekonzernen, da »E.on mit Moskau kooperiert und vor allem auf russische Erdgasvorräte zielt«, während RWE in Konkurrenz zu Moskau die Einfuhr der zentralasiatischen Energieträger am »russischem Territorium vorbei« organisiere. Zudem hat RWE eine Energiepartnerschaft mit Kasachstan geschlossen, in deren Rahmen eine Projektstudie über Kohlevergasung durchgeführt wird. »Eine erfolgreiche Projektstudie kann für RWE langfristig die Möglichkeiten zur Gasbeschaffung in Kasachstan weiter verbessern«, erläuterte der Chef von RWE Supply and Trading, Stefan Judisch.

Der deutsche Vorstoß in Zentral­asien geht mit einer merklichen Abkühlung in den Beziehungen zwischen Aschgabat und Moskau einher. Rußlands Staatsmonopolist Gasprom hatte sich auf dem Höhepunkt der globalen Preisexplosionen bei Energieträgern 2008 bereit erklärt, turkmenisches Erdgas für umgerechnet 340 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter aufzukaufen. Doch nun beschert dieses Gas, das in die Ukraine nach Europa und weiterbefördert wird, dem Konzern erhebliche Verluste. So ist nicht verwunderlich, daß Gasprom Anfang April erklärte, künftig weniger Gas aus Turkmenistan beziehen zu wollen. Am 9. April brach ein Brand an der Gaspipeline »Mittel­asien-Zentrum-4« aus, der die Gaslieferungen aus Turkmenistan nach Rußland und in die Ukraine gänzlich lahmlegte. Zudem verzögerten sich die Reparaturarbeiten erheblich.

Turkmenistan, das finanziell nahezu vollständig von den Einnahmen aus dem Gasexport abhängt, reagierte auf diese Verzögerung verärgert. Präsident Gurbanguly Berdymu­chamedow forderte die Einberufung einer internationalen Expertenkommission, die die Ursachen der Pipelineexplosion klären solle, während das turkmenische Außenminister­ium Gasprom beschuldigte, »grob« gegen die Vertragsbestimmungen verstoßen zu haben. Grundsätzliche Differenzen bestehen überdies bei einer geplanten neuen Pipeline zwischen Turkmenistan und Rußland, deren Realisierung von Berdymu­chamedow verzögert wird. Der Kreml ist zudem über die energiepolitische Kooperation zwischen Peking und Aschgabat verstimmt, die ebenfalls zur Diversifizierung turkmenischer Energieexporte beitragen soll.

Dabei sah Moskau noch vor wenigen Wochen als sicherer Sieger im zentralasiatischen Pipelinepoker aus, nachdem Gasprom einen Vorvertrag über Lieferung aus Aserbaidschan vereinbaren konnte. Sollte dieses Vorhaben realisiert werden, würde Rußland ab 2010 sämtliches Erdgas der Aseris aufkaufen und dieses in die EU transportieren. Für Nabucco wäre es das Aus, da Aserbaidschan als wichtigster Lieferant für das westliche Projekt fungieren soll. Inzwischen hat der aserbaidschanische Präsident Ilcham Alijew gegenüber seinem russischen Amtskollegen Dmitri Medwedew klargemacht, wie sich Baku die energetische Kooperation beider Staaten vorstellt: So will Aserbaidschan das Erdgas selbst an die EU verkaufen, während Rußland dabei nur noch die Rolle eines Transitlandes zukäme. Trotz dieser ungünstigen Entwicklungen fordern maßgebliche russische Politiker wie der Vizesprecher der Duma, Waleri Jasew, den Kreml auf, aus strategischen Erwägungen weiterhin danach zu streben, die gesamten Energieträger im postsowjetischen Raum aufzukaufen.

Die EU intensiviert derweil ihre Bemühungen, Nabucco voranzutreiben. Während eines am vergangenen Wochenende abgehaltenen Energiegipfels in Sofia wurde eine Diversifizierung der Erdgasversorgung der EU angemahnt. Als problematisch erwies sich aber die Haltung Ankaras, da die Türkei immer noch ihre Nabucco-Teilnahme an äußerst hochgesteckte Forderungen knüpft. Ganze 15 Prozent des durch die Türkei beförderten Erdgases möchte Ankara für die Selbstversorgung abzweigen dürfen. An der Konferenz nahmen neben den Europäern alle potentiellen Transitländer und Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres inklusive Rußland teil, das hier für die Realisierung seines Konkurrenzprojekts zur Nabucco Pipeline, der South-Stream-Gasleitung, warb. Diese von Gasprom und dem italienischen Konzern ENI geplante Pipeline soll auf dem Boden des Schwarzen Meeres verlaufen und unter Umgehung der Ukraine Südrußland mit Südosteuropa verbinden.

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