Janukowitsch kehrt zurück

„Junge Welt“ vom 10.07.06
Orange gestoppt: Überraschungscoup der prorussischen Kräfte in der Ukraine

Der ukrainische Parlamentarismus stellt derzeit Rekorde in Serie auf. Nach nur zehn Tagen ist die Neuauflage der »orangen Koalition« zwischen dem Wahlbündnis Julia Timoschenkos, der Partei »Unsere Ukraine« des Präsidenten Viktor Juschtschenko und den Sozialisten um Alexander Moros zerbrochen. Ausgelöst wurde die aktuelle Krise durch einen Koalitionsstreit um die Ernennung des Parlamentspräsidenten. Dieser Posten sollte laut Koalitionsvereinbarung an den umstrittenen Milliardär und »Berater« des Präsidenten, Pjort Poroschenko, gehen, der als »Graue Eminenz« des Präsidentenlagers gilt und gegen den Timoschenko schwere Korruptionsvorwürfe erhebt.

Kurz vor dem Wahlgang sprachen sich aber 19 der 28 sozialistischen Abgeordneten gegen Poroschenko aus und stellten ihren Vorsitzenden, Moros, als Gegenkandidaten auf. Empört über den Bruch der Koalitionsvereinbarung zog der Präsident seinen Kandidaten zurück. Die Parteien Juschtschenkos und Timoschenkos blieben der Wahl des Parlamentspräsidenten am späten Donnerstag fern, so daß Moros einfach mit den Stimmen der Opposition in dieses Amt gewählt wurde. Doch dieses war nur ein Vorgeschmack auf das politische Erdbeben, das am nächsten Tag die Ukraine erschüttern sollte.

Am Freitag vormittag traten die Vorsitzenden der oppositionellen Parteien vor die Presse, um die Bildung einer »Antikrisenkoalition« zu verkünden. Neben Moros Sozialisten sollten die prorussische, in der Ostukraine beheimatete »Partei der Regionen« von Viktor Janukowitsch und die Kommunistische Partei der Ukraine zukünftig regieren. Moros schlug Janukowitsch als zukünftigen Premier vor. Die drei genannten Parteien verfügen mit 240 von 450 Sitzen im Parlament, der Werchowna Rada, über eine stabile Mehrheit.

Die westlich orientierten Parteien Juschtschenkos und Timoschenkos warfen Moros flugs »Verrat an den Idealen der orangen Revolution« vor und spekulieren nunmehr auf Überläufer aus den Reihen der Sozialisten, die 2004 an den Protesten gegen den damaligen Premier Janukowitsch beteiligt waren.

Rekordverdächtig war auch die zehntägige, von der »Partei der Regionen« verhängte Parlamentsblockade, die dem Zusammenbruch der »orangen Koalition« vorausging. Deren Auflösung wurde von Janukowitsch Donnerstag früh damit begründet, daß er die Zusage bekommen hätte, die von seiner Partei geforderten Parlamentsausschüsse leiten zu dürfen. Doch angesichts der wiederum rekordverdächtig schnellen Koalitionsbildung zwischen der ehemaligen Opposition und den Sozialisten ist davon auszugehen, daß es wohl schon vor der Aufhebung der Blockade Absprachen zwischen den drei Parteien gegeben hat.

Die »Revolutionäre« geben sich indes noch nicht geschlagen: Julia Timoschenko forderte den Präsidenten auf, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszurufen, da die dreimonatige Frist zur Bildung einer Regierung schon abgelaufen sei. Dazu müßte Juschtschenko aber den frischgewählten Parlamentspräsidenten Moros konsultieren. Dieser entließ am Freitag erstmal alle Abgeordneten in einen Kurzurlaub. Erst am morgigen Dienstag wird die Werchowna Rada ihre Arbeit wieder aufnehmen.

Kommentar verfassen

Nach oben scrollen