Eine OPEC fürs Gas

„Junge Welt“, 12.04.2007
Konferenz in Doha bereitete Kartellbildung vor. Pläne schüren Mißstimmung zwischen Rußland und dem Westen

Die russische Energiepolitik läßt im Westen einen zunehmend aggressiveren Ton gegenüber Moskau aufkommen. In einem Brandbrief an Außenministerin Condoleezza Rice warnte der Auswärtige Ausschuß des US-Repräsentantenhauses vor den Folgen eines von Rußland angestrebten internationalen Gaskartells. Ileana Ros-Lehtinen, Verfasserin des Schreibens und stellvertretende Leiterin des Auswärtigen Ausschusses, geht davon aus, daß ein von Rußland angeführtes Kartell das US-amerikanisch-russische Verhältnis dauerhaft belasten und die weltweite Energieversorgung immens gefährden werde. »Wir müssen der Gründung dieses Erpresserkartells energisch entgegentreten«, hieß es in dem Anfang April publizierten Mahnbrief an das State Departement.

Ros-Lehtinen plädiert darin für die Ausarbeitung einer »gemeinsamen Strategie« des Westens, um das Kartell zu verhindern. Washington müsse zudem dem Kreml klarmachen, daß sein diesbezügliches Bestreben von den Vereinigten Staaten als ein — so wörtlich — »feindlicher Schritt« betrachtet wird. Die republikanische Abgeordnete forderte die USA auf, ihr Engagement in Zentralasien zu intensivieren, um die dortigen Staaten beim Aufbau alternativer, jenseits von Rußland verlaufender Gasleitungen zu unterstützen.

In finsteren Andeutungen gegenüber Moskau erging sich auch EU-Energiekommisar Andris Piebalgs. Auf einer von EU und USA organisierten Energiekonferenz in Washington ereiferte sich der Lette, er könne Rußland vor der Bildung eines Gaskartells nur warnen. Ein solcher Schritt würde die europäischen »Beziehungen zu den Gasproduzenten schwer belasten« und die EU zu einer verstärkten Förderung der Atomkraft zwingen.

Ungeachtet aller Warnungen ist es Moskau inzwischen gelungen, dem angepeilten Kartell, das in Anlehnung an das bereits für den Ölmarkt existierende »Erdgas-OPEC« genannt wird, einen wichtigen Schritt näher zu kommen. Während einer am 9. April in Doha abgehaltenen Konferenz der wichtigsten erdgasexportierenden Nationen wurde auf russischen Betreiben die Gründung einer »Koordinierungsgruppe« beschlossen, die einen »Preisbildungsmechanismus« auf dem Gasmarkt ausarbeiten soll (jW berichtete). Rußland werde als Koordinator dieser Gruppe fungieren, wie der russische Industrie- und Energieminister Wiktor Christenko während der im Golfemirat Katar abgehaltenen Konferenz erklärte.

Auffällig in Doha war, daß die russischen Konferenzteilnehmer bemüht waren, die Bedeutung dieser Gruppe zur Gaspreisbildung herunterzuspielen. Der Chef des russischen Gasmonopolisten Gasprom, Alexej Miller, bezeichnete das neue Gremium als einen »Schritt zu einer engeren internationalen Zusammenarbeit« und als eine »grundsätzlich neue Form des Energiedialogs«. Schon im Vorfeld der Konferenz beschwichtigte Energieminister Christenko, daß in Katars Hauptstadt keine Abkommen über eine »Gas-OPEC« geschlossen würden. Sein Land werde keine Bündnisse eingehen, »die gegen andere Staaten gerichtet wären«, so die Antwort Christenkos auf die Drohgebärden aus Washington und Brüssel. Im Laufe dieses Jahres soll sich die Koordinierungsgruppe sechsmal treffen, um »die Gestaltung der Gaspreise« zu diskutieren.

In der Tat wirkte Rußland mäßigend auf jene Staaten ein, die schon in Doha ein offizielles Kartell aus der Taufe heben wollten. Argentinien, Bolivien und Venezuela signalisierten bereits vor Konferenzbeginn ihre Bereitschaft, ein ähnlich der Organisation erdölexportierender Länder strukturiertes Kartell unverzüglich zu gründen. Iranische Konferenzteilnehmer erklärten ebenfalls ihre Bereitschaft, darüber zu diskutieren. Als einziges der an der Konferenz teilnehmenden Länder stemmte sich Ägypten generell gegen einen solchen Schritt. Der ägyptische Erdölminister Samih Fahmi sprach sich vor dem Abflug nach Doha für »reale Gaspreise« und »Transparenz in den Beziehungen zwischen den exportierenden Staaten« aus. Vorbehalte gegenüber einem offiziellen Gaskartell äußerten ebenfalls Algerien und Katar. An die 70 Prozent der nachgewiesenen, weltweiten Erdgasvorräte finden sich auf den Territorien der Länder, die an der Energiekonferenz in Doha teilnahmen.

Das nächste Treffen dieser 14 wichtigsten Erdgasexporteure wird 2008 in Moskau stattfinden. Dort dürfte der Kreml seine momentane Zurückhaltung bei der Ausformung eines formellen Kartells aufgeben. Vertreter der russischen Delegation erklärten schon zum Abschluß der Doha-Konferenz, daß eine »Gas-OPEC« angesichts der Globalisierung des Gasmarktes irgendwann Realität werde.

Zugleich ist Moskau bestrebt, das russische Transitmonopol für zentral­asiatische Energieträger aufrecht zu erhalten. Schon 2002 schlug Präsident Wladimir Putin den Staatschefs Kasachstans, Turkmenistans und Usbekistans den Aufbau eines Gaskartells vor – ein Vorhaben, das damals nicht realisiert wurde. Nun hofft der Kreml, in bilateralen Verhandlungen die zentralasiatischen Rohstoffexporteure an die bisher einzige, über russisches Territorium gen Westen verlaufende Exportroute zu binden und somit auch das Gewicht Rußlands innerhalb des geplanten Gaskartells zu erhöhen. Der Westen ist hingegen bestrebt, mit einen »Energiekorridor« die zentralasiatischen Energieträger anzuzapfen, der von Kasachstan ausgehend unter dem Kaspischen Meer, durch Aserbaidschan, Georgien und die Türkei verlaufen soll.

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