Neoliberaler Musterknabe

„junge Welt“ vom 18.09.06

Vom Wirtschaftsaufschwung der letzten Jahre merken die Rumänen wenig. EU-Beitritt 2007 scheint sicher

Rumänien belege bei der Reformbereitschaft einen der weltweiten Spitzenplätze. Dies werde nicht nur dem allgemeinen wirtschaftlichen Umfeld zugute kommen, sondern sich auch im Anwachsen von Arbeitsplätzen niederschlagen. Die Weltbank spart in ihrem kürzlich erschienenen Report (Doing Business 2007 – How to Reform) nicht mit Lob für das südosteuropäische, 21 Millionen Einwohner zählende Land. Rumänien wird neben Bulgarien von vielen westlichen Medien, beispielsweise dem The Economist, als eines der letzten, »postkommunistischen« Länder gefeiert, das ungebrochen am neoliberalen Reformkurs festhält.

Dumpinglöhne

Die derzeit in Bukarest regierende, liberalkonservative Vierparteienkoalition hat sich dieses Lob redlich verdient. Seit dem 1. Januar 2005 gilt in Rumänien eine sogenannte Flat-Tax, ein einheitlicher Unternehmens- und Einkommenssteuersatz von bescheidenen 16 Prozent. Zuvor wurden Unternehmensgewinne mit 25 Prozent, und Einkommen progressiv mit 18 bis 40 Prozent besteuert. Derzeit gerät die Regierung seitens wirtschaftsnaher Zirkel und Medien verstärkt unter Druck. Sie soll die Mehrwertsteuer von 19 Prozent stark anheben, um die Ausfälle bei der Besteuerung von Unternehmen und Großverdienern zu kompensieren.

Bei solchen Steuersätzen wundert es nicht, daß Rumänien sich zu einem »Star unter den Zielländern für ausländische Direktinvestitionen in Südosteuropa« (FDI) entwickelt hat, wie es die Industrie- und Handelskammer Dortmund in einer Einladung zum Ende September stattfindenden »Wirtschaftstag Rumänien« formulierte. Tatsächlich steigen die ausländischen Direktinvestitionenen mit atemberaubenden Tempo. Betrug die Gesamtsumme der FDI vor einem Jahr noch 5,2 Milliarden US-Dollar, so soll sie in diesem Jahr auf sieben und im nächsten auf über zehn Milliarden steigen, was eine Verdopplung innerhalb von drei Jahren wäre. Seit 2001 wächst die Wirtschaft jährlich um durchschnittlich fünf Prozent, und auch 2006 wird von vielen Analysten ein Wachstum jenseits der fünf Prozent prognostiziert. Neben den niedrigen Steuern locken auch niedrige Löhne westliche Investoren an. Der Mindestlohn liegt bei etwa 90 Euro, der Durchschnittslohn bei 230 Euro pro Monat, neben Bulgarien gilt Rumänien als eins der Länder mit dem niedrigsten Lohnniveau in Europa.

Die rumänische Arbeitslosenquote konnte innerhalb von fünf Jahren von über zehn Prozent auf 5,9 Prozent gesenkt werden. Doch garantiert Lohnarbeit oft nicht mehr die Existenzsicherung. Die Anzahl der Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, verharrt seit Jahren – trotz Wirtschaftsboom – bei 25 Prozent. Von einer spürbaren Verbesserung der Lebensumstände der Bevölkerung kann bis jetzt keine Rede sein, obwohl unter Berücksichtigung der Kaufkraftparität das Bruttosozialprodukt (BSP) pro Einwohner innerhalb von fünf Jahren von 6100 auf 8200 US-Dollar stieg.

Wie fast alle ehemals sozialistischen Staaten machte auch Rumänien im Zuge der »Systemtransformation« eine Deindustrialisierung gigantischen Ausmaßes durch. Der Anteil der Industrieproduktion am BSP (2005 betrug es 183 Milliarden US-Dollar) sank innerhalb einer Dekade nach 1989 von 57 Prozent auf 27 Prozent. Die Überbleibsel rumänischer Industrie werden nun privatisiert.

Weitere Privatisierungen

Die Autoindustrie, vor allem Renault mit seinem rumänischen Tochterbetrieb Dacia, sowie Daewoo und etliche Zulieferfirmen gehören nun mit ihren arbeitsintensiven Kfz-Montagewerken zu den wichtigsten Arbeitgebern. Im Juli 2004 vollzog sich eine weitere, wichtige Übernahme, als der österreichische Energieversorger OMV die Aktienmehrheit an dem rumänischen Öl- und Erdgaskonzern PETROM (60000 Mitarbeiter) übernahm. Ende 2005 erhielt die österreichische Erste Bank den Zuschlag für 61,88 Prozent an der größten Bank, der BRC (Banca Comerciala Romana). Der Kaufpreis von 3,75 Milliarden Euro stellt die bisher mit Abstand größte Direktinvestition in dem südosteuropäischen Land dar. Den Oppositionsparteien im Parlament werden diese »Erfolge« langsam unheimlich. Eine Gruppe nationalistischer und sozialdemokratischer Abgeordneter hat beim Verfassungsgericht des Landes einen Antrag auf Blockierung des BRC-Verkaufs gestellt, da dieser ihrer Ansicht nach verfassungswidrig sei.

Nicht nur Oppositionspolitiker, auch Ökonomen sehen im Handels- und Leistungsbilanzdefizit Rumäniens ein ernsthaftes Problem. Das Leistungsbilanzdefizit beträgt derzeit 8,4 Milliarden US-Dollar, oder 8,6 Prozent des BSP. Washingtoner Wirtschaftsberater warnten kürzlich, daß dieser Wert sich bis Jahresende auf elf Prozent erhöhen könnte.

Dennoch scheint der EU-Beitritt Rumäniens und auch Bulgariens zum 1. Januar 2007 beschlossene Sache zu sein: Laut Insider-Informationen der Welt wird die EU-Kommission am 26. September bei der Vorlage eines sogenannten Fortschrittsberichtes den Weg für einen schnellen Beitritt in die EU frei machen, der aber an »harte Bedingungen« geknüpft sein soll, beispielsweise einen effizienten Kampf gegen die in beiden Ländern grassierende Korruption.

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