Streit schlichten

„Junge Welt“, 02.09.2009
Ungarn und Slowakei versuchen, ihren Dauerkonflikt zu entschärfen. Regierungschefs planen Treffen in Budapest

Die Slowakei und Ungarn übten sich am vergangenen Montag mal wieder in Deeskalation. Die Außenminister beider mittelosteuropäischen Staaten kamen im slowenischen Badeort Bled zusammen, um den seit dem 21. August eskalierten Dauerkonflikt um die ungarische Minderheit in der Slowakei zumindest zu entschärfen. Der slowakische Außenminister Miroslav Lajcak sprach gar von einem »Neuanfang« in den notorisch krisengeschüttelten Beziehungen beider Länder. Ähnlich äußerte sich der oberste Diplomat Ungarns, Peter Balazs.

Die schwelenden Konflikte um die ca. 500000 Menschen umfassende, ungarische Minderheit in der Slowakei, die hauptsächlich im Süden des Landes lebt, erhielten neue Nahrung, nachdem die slowakische Regierung dem ungarischen Präsidenten Laszlo Solyom am 21. August die Einreise verweigerte. Solyom hatte sich in den Kopf gesetzt, unbedingt an der Einweihung eines Denkmals für den ungarischen König und Staatsgründer Stephan I. im slowakischen Komarno teilzunehmen, das als eines der Zentren der ungarischen Minderheit gilt.

Die slowakische Regierung sprach von einer »groben Provokation«, die der als Privatmann auftretende ungarische Staatschef auslösen wolle und verweigerte diesem wegen »Sicherheitsbedenken« die Einreise. Mit theatralischer Geste machte Solyom erst auf der Grenzbrücke in die Slowakei kehrt. Seitdem wird die ungarische Öffentlichkeit von antislowakischen Ressentiments beherrscht, während Rechtsradikale einen Anschlag auf die slowakische Botschaft in Budapest verübten. Die ungarische Regierung bestellte den slowakischen Botschafter ein, forderte von Bratislava eine Entschuldigung für das Einreiseverbot und strengte auch diplomatische Schritte gegen das Nachbarland auf europäischer Ebene an.

Die Beziehungen Ungarns zu seinen Nachbarn haben aufgrund eines 2005 beschlossenen Gesetzes arg gelitten, in dem sich die ungarische Regierung Vertretungsansprüche für die »Auslandsungarn« anmaßt. Das auch für die ungarischen Minderheiten in der serbischen Vojvodina (ca. 300000) und im rumänischen Siebenbürgen (ca. 1,5 Millionen) geltende, klar nach völkischen Kriterien strukturierte Gesetz sieht für diese Minderheiten umfassende Vergünstigungen wie einen erleichterten Zugang zum ungarischen Arbeitsmarkt und soziale Leistungen vor. Solyoms pathetische Auftritte bei den »Auslandsungarn« haben schon in Serbien und Rumänien für Mißfallen gesorgt. Auf diese Weise versucht Ungarn, Ansprüche auf diese Gebiete zu erheben, die es nach Ende des Ersten Weltkrieges verloren hat. Die ungarischen Neonazis provozieren ebenfalls gern in der Slowakei, indem sie etwa Aufmärsche in südslowakischen Städten planen oder die Grenzübergänge beider Länder blockieren.

Doch auch die slowakische Regierung scheint mit einem am 30. Juni verabschiedeten Sprachgesetz zu den Spannungen der jüngsten Zeit beigetragen zu haben. Das Slowakische ist von der offiziellen zur Staatssprache erhoben worden, so daß künftig Ungarisch nur in öffentlichen Einrichtungen derjenigen Ortschaften gesprochen werden darf, die eine ungarische Minderheit von mindestens 20 Prozent der Gesamtbevölkerung aufweisen. Penibel regeln die Vorschriften, die Geldstrafen bis zu 5000 Euro vorsehen, beispielsweise die Gestaltung von Grabinschriften, die ebenfalls zweisprachig sein müssen – wobei die Buchstaben des Ungarischen keinesfalls größer als die des Slowakischen sein dürfen. Viele Ungarn hat auch der Eintritt der nationalistischen Slowakischen Nationalpartei (SNS) des Rechtspopulisten Jan Slota in die slowakische Regierung empört. Slota ist berüchtigt für seine öffentlichen antiungarischen Schimpftiraden.

Inzwischen signalisierten auch der sozialdemokratische slowakische Premier Robert Fico und sein ungarischer Amtskollege Gordon Bajnai Dialogbereitschaft. Beide Regierungschefs wollen sich im September in Budapest treffen und bei dieser Gelegenheit auch in einen Meinungsaustausch über das Einreiseverbot für Solyom treten. Ein bereits geplantes Gipfeltreffen wurde vor wenigen Wochen von der ungarischen Regierung im Zuge des eskalierenden Konfliktes abgesagt.

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