Polen hat Geldsorgen

„Junge Welt“, 27.07.2009

Einbrechende Steuereinnahmen erzwingen neue »Sparmaßnahmen« im bisher nur gering von der Krise gebeutelten Staat. Experten erwarten nun auch Rezession

Polens Regierung geht auf der Suche nach neuen Finanzierungsquellen inzwischen recht ungewöhnliche Wege. Um immer wieder neu auftauchende Löcher im Staatshaushalt zumindest notdürftig zu stopfen, drängt die neoliberale Koalition unter Premier Donald Tusk auf besonders hohe Dividendenzahlungen in den noch unter Staatskontrolle stehenden Banken und Unternehmen. Das größte Kreditinstituts des Landes, die PKO Bank Polski, an dem der Staat 51 Prozent hält, zahlte Anfang Juli nach Beschluß der Hauptversammlung eine Milliarde Zloty (ein Euro sind ca. 4,2 Zloty) an Dividenden aus. Berichten polnischer Medien zufolge drängte ursprünglich der Bankvorstand auf Betreiben des Staatsministeriums auf die Ausschüttung des gesamten Nettogewinns des Vorjahres in Höhe von 2,88 Milliarden Zloty. Eine ähnliche Strategie verfolgten die Regierungsvertreter in etlichen anderen Unternehmen, an denen der Staat noch nennenswerte Anteile hält.

Insgesamt sieht der polnische Finanzminister Jacek Rostowski in dem Mitte Juli verabschiedeten Nachtragshaushalt Dividendeneinnahmen in Höhe von 8,4 Milliarden Zloty vor, während diese zuvor auf nur 2,9 Milliarden veranschlagt waren. Auch die polnische Zentralbank soll nach dem Willen von Tusk ihren in diesem Jahr erwirtschafteten Gewinn dem Staatshaushalt 2010 zur Verfügung stellen. An die zehn Milliarden Zloty sollen einem Bericht der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza zufolge im kommenden Jahr zur Verfügung gestellt werden. Den größten Mittelzufluß für die leeren Staatskassen bilden aber inzwischen die Finanzzuwendungen aus Brüssel, die in diesem Jahr um 8,2 Milliarden Zloty steigen sollen. Der diesjährige Haushalt Polens »hängt von den Mitteln der EU ab«, kommentierte unlängst die Zeitung Rzeczpospolita.

Ansonsten sieht sich der Staat massiven Rückgängen beim Steueraufkommen ausgesetzt, die insbesondere auf einem stark einbrechenden Konsum hindeuten. Die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer werden im Nachtragshaushalt um nahezu 25 Milliarden Zloty niedriger auf nur noch 94 Millarden veranschlagt. Diese Mindereinnahmen dürften auch mit der stagnierenden Lohnentwicklung in Polen zu tun haben, da die diesbezügliche »Aufholjagd« der vergangenen Jahre gegenüber Westeuropa zum Stillstand kam. Im Juni 2009 sind nach Berechnungen des Statistischen Amtes die Löhne gegenüber dem Vorjehresmonat um nominal 2,1 Prozent gestiegen. Die Inflation betrug aber im selben Zeitraum 3,5 Prozent. Einbrüche sind auch bei der Lohnsteuer (nahezu sechs Milliarden Zloty) und der Körperschaftsteuer (minus zehn Milliarden) zu verzeichenen. Insgesamt geht Polens Regierung in ihrem Nachtragshaushalt von einem Haushaltsdefizit von 27 Milliarden Zloty aus, das somit um neun Milliarden über den ursprünglichen Planungen liegt. Die gesamten Mindereinnahmen, die teilweise durch Sparmaßnahmen kompensiert werden sollen, belaufen sich sogar auf 46 Milliarden Zloty.

Die der rechtskonservativen Opposition nahestehende Rzeczpospolita ließ es sich nicht nehmen, in einem Hintergrundartikel das drohende Desaster genauer zu beleuchten. Demnach betrug Polens Haushaltsdefizit 2007, auf dem Höhepunkt des Konjunkturaufschwungs in Osteuropa, nur 1,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). 2008, als Polens neoliberale Regierung sich noch immun gegenüber der Weltwirtschaftskrise wähnte, stieg dies Defizit bereits auf 3,9 Prozent des BIP. Nun lassen einbrechernden Einnahmen im Gefolge mit Steuererleichterungen, die die Regierung Tusk beschlossen hatte, das polnische Haushaltsdefizit regelrecht explodieren. Möglich sei ein Etat-Fehlbetrag von umgerechnet 5,7 bis 7,6 Prozent des BIP, so der Ökonomieprofessor Andzej Wernik gegenüber dem Blatt: »Alles hängt davon ab, wie sich die ökonomische Situation entwickeln wird.«

Die EU-Kommission hat auf diese hohe Verschuldung bereits reagiert und ein Defizitverfahren gegen Polen eingeleitet. Bereits Ende Juni legte Finanzminister Rostowski auch die angestrebte Euro-Einführung vorerst auf Eis, die aufgrund des Einbruchs der polnischen Währung von der Tusk-Administration eigentlich forciert worden war. Als »schier unmöglich« bezeichnete der Minister nun die ursprünglich geplante Einführung des Euro 2012, so daß inzwischen 2014 als frühestmöglicher Termin gehandelt wird. Zugleich mußte Rostowski erneut die Wachstumsprognosen der Regierung für dieses Jahr nach unten korrigieren, diesmal von 1,7 auf 0,2 Prozent. Dabei dürfte sich auch diese Prognose, auf der die Einnahmekalkulation des Nachtragshaushalts beruht, als zu optimistisch erweisen. Die EU wie auch etliche Wirtschaftsforschungsinstitute prognostizieren für das Land in diesem Jahr bereits eine Rezession.

Wo Polens Neoliberale den Rotstift bei ihrem Nachtragshaushalt ansetzen, erläuterten die sozialdemokratischen Abgeordneten Marek Wikinski und Bartosz Arukowicz bei einer Pressekonferenz am 18. Juli. Die Regierung stopfe ihre Haushaltslöcher »auf Kosten der Allerärmsten«. Für der Krise sollen diejenigen zahlen, die am stärksten benachteiligt seien, so der Tenor beider Parlamentarier. Es habe Kürzungen in den Haushaltsposten für behinderte Kinder und Jugendliche, oder bei den Stipendienprogrammen für sozial Benachteiligte gegeben. Des weiteren soll die Einkommensschwelle für den – ohnehin kaum einklagbaren – Sozialhilfebezug in Polen bei einem Pro-Kopf-Einkommen von 351 Zloty »eingefroren« und drei Jahre lang nicht mehr an die Inflationsrate angepaßt werden. Die Regierung zeigte sich ob solcher Einwände naturgemäß unbeeindruckt: Man habe dieses »ganze Lamentieren über die armen Kinder«, daß die Opposition veranstaltet habe, entschieden zurückgewiesen, erklärte Stefan Niesioowski von der regierenden Bürgerplatform gegenüber der polnischen Nachrichtenagentur PAP am 18. Juli, nachdem das Parlament den Nachtragshaushalt mit 232 von 421 Stimmen verabschiedet hat.

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