Tschechisches Patt

„Junge Welt“ vom 15.07.06
Seit sechs Wochen verhindern Sozialdemokraten und Kommunisten gemeinsam rechte Regierungsbildung

Das nach den Parlamentswahlen vom 2. und 3. Juni entstandene Patt zwischen Linken und Rechten im tschechischen Parlament wird wohl noch eine Weile bestehen bleiben. Die als Sieger aus dem Urnengang hervorgegangenen konservativen »Bürgerlichen Demokraten« (ODS) um Mirek Topolanek bildeten zwar eine Koalition mit den Grünen (SZ) und den Christdemokraten (KDU-CSL), die genau hundert Parlamentsabgeordnete stellt. Indes ist das Problem dabei, daß die oppositionellen Sozialdemokraten (CSSD) und Kommunisten (KSCM) genau dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen erringen konnten.

Als Topolanek vor über einem Monat seine rechtsgerichtete Regierungsbildung ohne Mehrheit ankündigte, glaubte er noch, sich mit der CSSD auf irgend eine Form von Tolerierung oder Duldung einigen zu können. Doch offensichtlich unterschätzte er die tiefen, auch persönlichen Kränkungen und Wunden, die der schmutzige Wahlkampf der ODS bei den Sozialdemokraten hinterlassen hat. So ist der Vorsitzende der CSSD, Jiri Paroubek, gegen den während des Wahlkampfs unbegründete Mord- und Mißbrauchsvorwürfe erhoben wurden, immer noch geschäftsführender Premier der Tschechischen Republik.

Mit äußerster Entschlossenheit blockierten die Sozialdemokraten und Kommunisten jegliche Versuche der Rechten, der Regierungsbildung auch nur ein Stück näher zu kommen. Alle Zugeständnisse seitens Topolaneks und der ODS wurden zurückgewiesen. Das tschechische Parlament trat zwar zu einer konstituierenden Sitzung zusammen, doch es gelang nicht einmal, den Parlamentsvorsitzenden zu wählen. Der Vorschlag der ODS, im Austausch für eine Tolerierung der rechten Koalition den Sozialdemokraten diesen Posten zu überlassen, wurde von Paroubek abgelehnt.

Beide Lager wollen bei der Überwindung des parlamentarischen Patts inzwischen zu kreativen Lösungsansätzen greifen. Topolanek schlug Anfang Juli die Wahl eines »Goldenen Mandats« vor, eines zusätzlichen Abgeordneten, den die Tschechen zu wählen hätten und der einem Lager zur Mehrheit verhelfen würde. Paroubek äußerte sich eher skeptisch über diesen Vorstoß seines Rivalen. Er schlug hingegen die Bildung einer Regierung aus parteilosen Experten vor. Dies bezeichnete wiederum Topolanek postwendend als »blanken Unsinn«.

Nachdem am Mittwoch in einer Verhandlungsrunde mit allen im Parlament vertretenen Parteien wiederum keine Lösung gefunden wurde, kündigte Staatspräsident Vaclav Klaus an, sich in den Prozeß der Regierungsbildung einzuschalten. Umgehend ließ Topolanek während eines Besuchs in London wissen, daß er sich davon keinen nennenswerten Fortschritt verspreche. Darüber hinaus verstehe »Europa« die Schwierigkeiten nicht, die die ODS als Wahlsiegerin mit der Regierungsbildung habe, so Topolanek weiter. Das stimmt: Am Dienstag legte die großbürgerliche Frankfurter Allegemeine Zeitung der Europäischen Sozialistischen Partei (ESP) ans Herz, sich um ihre Genossen an der Moldau zu kümmern.

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