Stuhlproben im Briefkasten

„Junge Welt“, 15.04.2009

Die Arbeitsbedingungen im ambulanten Pflegebereich stinken zum Himmel. Nun wollen Beschäftigte in den »Scheiß-Streik« treten

Für das Geld machen wir den Scheiß nicht mehr … weg!« Unter diesem Motto haben Beschäftigte aus dem Bereich der ambulanten Pflegedienste und persönlichen Assistenz Protest angekündigt. Sie wollen mit einer recht unkonventionellen Aktion gegen Lohndumping und die Prekarisierung ihrer Arbeitsverhältnisse demonstrieren. Die Organisatoren des bundesweit ersten »Scheiß-Streiks« fordern alle Pflegekräfte auf, zwischen dem 27. April und 27. Mai in Apotheken für »wenige Cent« sogenannte Kot- und Stuhlröhrchen zu erwerben und zu »befüllen«. Per Post sollen die Stuhlproben dann an Personen und Institutionen gehen, die für die skandalösen Zustände im Pflegebereich der persönlichen Assistenz verantwortlich sind. Adressaten sollen unter anderem »politische Entscheidungsträger«, Krankenkassen, Zeitarbeitsfirmen oder kirchliche Träger sein. Unterstützt wird die Aktion von einer Reihe linker und fortschrittlicher Gruppen und Organisationen.

»Wir werden den täglich anfallenden Scheiß nicht mehr einfach stillschweigend entsorgen«, erklärte die »Unabhängige ArbeitnehmerInnenvertretungen in der Persönlichen Assistenz« (UAPA) in einem Protestaufruf. Man wolle zeigen, wer für »die zunehmend beschissenen Arbeitsbedingungen in diesem Sektor verantwortlich« ist. Zur Teilnahme am Streik sind alle im Pflegebereich tätigen Menschen aufgerufen, ob sie nun bei »privaten oder gemeinnützigen Institutionen«, oder bei den zu pflegenden Personen selbst angestellt sind. Es sei klar, »daß die hohe Ausdifferenzierung unserer Arbeits- und Lebensverhältnisse in diesem Sektor Methode hat«, so die UAPA. Erfolgreich wehren könne man sich aber nur gemeinsam.

Die UAPA wurde Ende vergangenen Jahres im Kreuzberger Mehringhof gegründet. Dort hatten Delegierte aus sechs betrieblichen Interessenvertretungen großer Assistenzeinrichtungen das bundesdeutsche Netzwerk ins Leben gerufen. Das Berufsbild des Assistenzpflegers werde öffentlich oft auf das »Arsch abwischen« reduziert. Die Tätigkeit bringe jedoch eine Vielzahl von weiteren Belastungen mit sich, so die UAPA: »Wir schmeißen den Haushalt, kochen, animieren zu unterschiedlichsten Freizeitbeschäftigungen, … und besorgen die Grundpflege.« Man wolle für diese Arbeit »finanziell zumindest halbwegs angemessen honoriert« werden.

Die Pflegebranche gilt als Vorreiter bei der Durchsetzung von prekären und schlecht entlohnten Arbeitsverhältnissen. Der DGB spricht von »Hungerlöhnen« und einem beständig wachsenden Wettbewerbsdruck. Viele Pflegeassistenten müssen sich gleich mit mehreren Jobs über Wasser halten oder ihren Lohn durch den Bezug von ALG II »aufbessern«. Zwar wurden die Pflegedienste im Februar in das Arbeitnehmerentsendegesetz aufgenommen, doch da in der Branche keine bundesweiten Tarifverträge gültig sind, soll eine achtköpfige Kommission noch über verbindliche Lohnuntergrenzen verhandeln. Auf Grundlage der Vorschläge dieses Gremiums soll das Bundesministerium für Arbeit und Soziales dann einen Mindestlohn erlassen. Etliche Wohlfahrtsverbände fürchten, daß diese Untergrenze zum branchenüblichen Standard werden könnte, falls die Kranken- und Pflegekassen diesen zur informellen Orientierungsmarke bei der Kostenübernahme machen sollten.

Weitere Infos: www.jenseits-des-helfersyndroms.de

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