Gewonnen, zerronnen

„Junge Welt“, 04.02.2009

Nach dem Boom: Rubel-Abwertung und Haushaltsdefizit lassen die enormen Devisenreserven Rußlands rapide abschmelzen

Der Rubel rollt. Derzeit allerdings nur in eine Richtung – abwärts. Die Abwertung der russischen Währung erreicht trotz aller Stützungsmaßnahmen der Moskauer Zentralbank dramatische Ausmaße, die an die Währungskrise von 1998 erinnern. Erhielt man für einen Euro Mitte 2008 nur 35 Rubel, so sind es inzwischen mehr als 46. Zu diesem massiven Wertverlust trugen die enormen Abflüsse ausländischen Kapitals bei, die im Zuge der Krise einsetzten. Besonders aber setzen die beständig fallenden Rohstoffpreise dem Wert des Rubel zu.

Die Moskauer Zentralbank bemühte sich monatelang, diesen Währungsverfall mit Stützungskäufen zumindest kontrolliert in kleinen Schritten ablaufen zu lassen. Erst am 22. Januar erklärte die Notenbank, diese Politik aufzugeben und den Rubel den »freien Kräften des Marktes« zu überlassen, um die mit den Stützungskäufen einhergehende Erschöpfung der eigenen Währungsreserven aufzuhalten. Tatsächlich sind die Devisenreserven der Zentralbank seit August vergangenen Jahres von 596 Milliarden US-Dollar auf inzwischen nur noch knappe 390 Milliarden US-Dollar gesunken. Allein in der Woche vor dem 22. Januar waren 30 Milliarden Dollar zur Stützung des Rubels von den russischen Notenbankern aufgewendet worden.

In 20 Schritten, die jeweils mit Stützungskäufen der Zentralbank einhergingen, wurde seit August die russische Landeswährung langsam abgewertet. Diese kostspielige Politik wurde von der Notenbank nicht zuletzt deshalb gewählt, weil die Erfahrungen der Rubelkrise von 1998 noch frisch im Gedächtnis vieler Russen haften. Damals gab die sich bereits im Delirium befindliche Administration des Boris Jelzin den Rubelkurs frei, worauf dieser binnen eines Tages um nahezu 30 Prozent abstürzte. Von der folgenden Krise, die in der Zahlungsunfähigkeit des russischen Staates gipfelte, konnte sich das Land erst nach etlichen Jahren – und gewaltig steigenden Einnahmen aus der Öl- und Gasproduktion – erholen. Vor diesem geschichtlichen Hintergrund wird aber auch eine baldige Rückkehr der Notenbank zur kostspieligen Politik der Stützungskäufe erwartet, da die Rubel-Abwertung nach dem 22. Januar trotz einer kurzen Ruhepause weiter voranschreitet.

Die neue »rote Linie«, die die Notenbanker gezogen haben, befindet sich bei einem Kurs von 41 Rubel zu einem Währungskorb, der zu 55 Prozent aus dem US-Dollar und 45 Prozent aus dem Euro besteht, und an dem Rußlands Währung gekoppelt wurde. Ab diesen Kurs will die Zentralbank erneut intervenieren. Doch genau dagegen scheinen internationale Spekulanten zu wetten, und nun treibt der schwindsüchtige Rubel auf diese Zielmarke zu. Am Montag verfehlte er sie nur knapp um ein halbes Prozent. Es sei »natürlich, daß die Märkte das Niveau von 41 Rubel testen werden«, erklärte die Chefvolkswirtin der Moskauer Alfa Bank, Natalia Orlowa, gegenüber der Financial Times Deutschland.

Doch es sind nicht nur die Währungsreserven Rußlands, die angesichts der Krise rapide schwinden. Wie Finanzminister Alexej Kudrin am 30. Januarin der russischen Duma erläuterte, wird allein 2009 ein »signifikanter Teil« des 215 Milliarden US-Dollar umfassenden, russischen Stabilitätfonds aufgewendet werden, um das Haushaltsdefizit decken zu können. Der Fonds wurde vom russischen Staat durch Deviseneinnahmen aufgebaut, die in den vergangenen Jahren dank des Ölbooms üppig ins Land geflossen waren.

Doch diese Zeiten sind wegen der rasch fallender Rohstoffpreise vorbei. Rußlands Premier Wladimir Putin verfügte am 22. Januar eine Anpassung des Haushaltsplans für 2009, da die Prognosen für die Einkünfte aus dem Energieträgerexport längst von der Realität unterboten wurden. Das Haushaltsdefizit 2009 könnte sich neuesten Schätzungen zufolge auf 5,4 Prozent des russischen Bruttosozialprodukts belaufen (etwa 124 Milliarden US-Dollar). Da die Einnahmen des Staates zu 47 Prozent aus im Energiesektor erhobenen Steuern und Exportzöllen bestehen, führte der Ölpreisverfall zu einem regelrechten Haushaltsnotstand im Kreml.

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