Mysteriöse Tode

„Junge Welt“, 23.01.2009
Selbstmorde im polnischen Gefängnis: Eine Industriellenfamilie macht Druck auf Tusk, die rechte Opposition profitiert

Ein schwerwiegender Skandal erschüttert derzeit die neoliberale polnische Regierungskoalition unter Premier Donald Tusk (Bürgerplattform PO). Diesem fiel am vergangenen Dienstag bereits Polens Justizminister Zbigniew Cwiakalski zum Opfer, der zurücktrat, nachdem ein weiterer Selbstmord eines Häftlings im Gefängnis der polnischen Kleinstadt Plozk publik geworden war. Das Spezielle daran: Der betroffene Gefangenen Robert Pazik war bereits der dritte Beteiligte an einer der spektakulärsten Fälle in der polnischen Kriminalgeschichte, der in Haft unter mysteriösen Umständen verstarb.

Pazik war an der Entführung des Industriellensohnes Krzysztof Olewnik im Oktober 2001 beteiligt, der von seinen Kidnappern trotz der Zahlung eines Lösegeldes von umgerechnet 300000 Euro im Juli 2003 umgebracht worden war. Zwei seiner Mittäter waren bereits aus dem Leben geschieden – dementsprechend hoch waren bei Pazik die Standards bei den Sicherheitsvorkehrungen: So wurde das Gefängnis mit Videokameras überwacht.

Ihre besondere Brisanz erhielten die Ereignisse allerdings erst durch Anschuldigungen der Familie Olewnik. Die Anwälte dieses einflußreichen Unternehmerclans erklärten mehrfach, daß die Selbstmorde nur fingiert waren und die drei Kidnapper aus dem Weg geräumt werden sollten, um die wahren Hintermänner der Entführung zu schützen. Die Olewniks machten außerdem klar, wo sie diese Strippenzieher vermuten – bei den staatlichen Sicherheitsdiensten nämlich. Schon während der Entführung hatte die Familie die Polizei beschuldigt, sich schwerster Ermittlungsversäumnisse schuldig gemacht zu haben, die auf bewußte Verschleierung hindeuteten.

Die Selbstmorde sowie die damit einhergehenden Anschuldigungen waren – und sind weiterhin – Wasser auf die Mühlen der oppositionellen, rechtskonservativen Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) der Kaczynski-Zwillinge, die sich schon seit Jahren in einem immerwährenden Kampf gegen ein korruptes »System« mysteriöser Seilschaften aus Sicherheitsdiensten, Mafia und Politik sehen. Ebenso wie die Familie Olewnik äußerte Präsident Lech Kaczynski die Vermutung, daß Pazik ermordet und der Selbstmord nur vorgetäuscht worden sei. Die PiS forderte umgehend die Einberufung eines Untersuchungsausschusses, wie auch umfangreiche personelle Konsequenzen in Politik und Justiz.

Premier Tusk bemühte sich in den vergangenen Tagen vergeblich, als ein entschlossener Aufklärer aufzutreten, um so der PiS den Wind aus den Segeln zu nehmen. Justizminister Zbigniew Cwiakalski sei vor allem auf sein Betreiben hin zurückgetreten, hieß es. Zudem gab Tusk inzwischen noch weitere Entlassungen bekannt. Ihren Hut müssen unter anderem der stellvertretende Justizminister Marian Cichosz, Generalstaatsanwalt Marek Staszak und der Leiter der Gefängnisverwaltung, Jacek Pomiankiewicz, nehmen. Überdies unterstützte Tusk auch die von den Konservativen geforderte Einberufung einer parlamentarischen Untersuchungskommission.

Die lange Zeit weitgehend marginalisierte rechtskonservative Opposition sieht sich bereits vor einem Popularitätsschub, derweil das Vorgehen des Premiers in seiner eigenen Partei auf Kritik stößt: »Die PIS sollte Donald einen Blumenkorb mitsamt Dankesschreiben schicken.« Durch Tusks Agieren erhalten die konservativen nur Auftrieb, klagten einige PO-Liberale gegenüber Dziennik, der zum Springerkonzern gehörenden Tageszeitung.

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