Grüne als Königsmacher?

„Junge Welt“ vom 02.06.06
Ausgang der tschechischen Parlamentswahlen nach einer Handgreiflichkeit vor laufenden Kameras wieder offen

Der schon sicher geglaubte Sieg der oppositionellen konservativen Bürgerdemokraten (ODS) bei den tschechischen Parlamentswahlen an diesem Wochenende ist seit kurzem wieder fraglich. Eine Handgreiflichkeit reichte aus, um die Stimmung im Lande zu kippen. Auf einem Zahnärztekongreß prügelte der Vizechef der ODS und persönliche Berater von Präsident Václav Klaus, Miroslav Macek, auf den sozialdemokratischen Gesundheitsminister David Rath (CSSD) ein – vor laufenden Fernsehkameras, um »persönliche Rache« zu nehmen. Rath wird von der ODS besonders scharf kritisiert, da er sich der Privatisierung des Gesundheitssektors entgegenstellt und eher die staatliche Kontrolle über diesen ausbauen möchte.

Doch nicht nur in der Gesundheitspolitik erinnern sich zumindest im Wahlkampf die Sozialdemokraten ihrer Wurzeln. Kurz vor den Wahlen brachte die CSSD zusammen mit den Kommunisten (KSCM) ein neues Arbeitsrecht durch das Parlament, in dem die Rechte der Lohnabhängigen gestärkt werden. Die CSSD machte nicht immer soziale Politik, Anfang 2004 ließ sie die Mehrwertsteuer erhöhen und setzte Einsparungen im Sozialstaat durch. Dennoch ist es beachtenswert, daß das neue Arbeitsrecht an den »offiziellen« Koalitionspartnern der CSSD vorbei beschlossen wurde, nämlich der inzwischen marginalisierten »Freiheitsunion« (US-DEU) und den Christdemokraten, die immerhin auf gut zehn Prozent der Stimmen hoffen können. Premier Jiri Paroubek (CSSD) schloß auch explizit eine von den Kommunisten – die bei den Wahlen zwischen zwölf und 17 Prozent erringen könnten – tolerierte Minderheitsregierung nicht aus. Es verwundert somit nicht, daß insbesondere die deutsche Presse zur offenen Hetze gegen diese »Linksfront« übergegangen ist. Die als auflagenstärkste Tageszeitung des Landes im Besitz der Rheinisch-Bergischen Verlagsgesellschaft befindliche Mlada fronta Dnes feuert eine Breitseite nach der anderen gegen Paroubek, während sie seinen konservativen Widersacher Mirek Topolanek (ODS) hofiert.

Doch es könnte auch einen neuen »Königsmacher« geben, der als Zünglein an der Waage die künftige Koaliton bestimmt: Die tschechischen Grünen können sich des Einzugs in das Parlament sicher sein, nachdem sie dank der offenen Unterstützung durch Expräsident Václav Havel auf acht Prozent der Stimmen hoffen können. Seit September 2004 vom Unternehmer Martin Bursik geführt, nähert sich die einstmals entschieden links positionierte Partei mit Riesenschritten neoliberale Positionen an. Als Ausdruck ihrer »Umweltpolitik« fordern die Grünen z.B. die Veräußerung der staatlichen Anteile von 67 Prozent an dem größten Energieversorger des Landes, der CEZ AS. Es ist also keineswegs ausgemacht, mit wem diese »Grünen« koalieren werden.

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