Täter werden zu Opfern

„Junge Welt“, 22.05.2008
Präsident Juschtschenko bläst zum Generalangriff auf das sowjetische Erbe der Ukraine. Denkmäler werden geschleift, ein Pendant zur Birthler-Behörde geschaffen

Die Ukraine setzt ihre Annäherung an den Westen auch auf dem Gebiet der Geschichtspolitik fort. Präsident Viktor Juschtschenko kündigte vor wenigen Tagen eine Gesetzesinitiative an, die die Beseitigung aller »Denkmäler und Symbole des totalitären kommunistischen Regimes« zum Ziel hat. Er werde einen entsprechenden »Eilantrag« dem ukrainischen Parlament vorlegen, verkündete der Staatschef am 18. Mai anläßlich einer Gedenkzeremonie für die »Opfer politischer Unterdrückung«. So sollen alle sowjetischen Symbole – von Hammer und Sichel bis zum Lenindenkmal – geschleift und aus der Öffentlichkeit verbannt werden. Juschtschenko will »prokommunistische und imperialistische Kräfte« ausfindig gemacht haben, die nach »Vergeltung streben«.

Konkret wandte sich der Präsident während seiner Ansprache an die Bürger der Ukraine, die noch immer eine »Rückkehr zum Kommunismus« anstrebten und drohte ihnen, daß die »totalitären Regimes« zuerst »an ihrer Türe klopfen werden«. Juschtschenko erklärte überdies, daß die »kommunistische Führung« sich mit »Ideologie bemäntelt« und in Wahrheit nur »nach absoluter Macht strebt«.

Offenbar will der ukrainische Präsident eine Geschichtsentsorgung organisieren, die dem Vorgehen der BRD nach dem Anschluß der DDR nicht unähnlich ist. Man müsse die Namen der Täter nennen und die der Opfer, der »Kämpfer gegen den Kommunismus«, erklärte Juschtschenko. »Ich möchte, daß die Namen dieser Menschen die ganze Nation kennt«, lautete die präsidiale Ankündigung einer ukrainischen Birthler-Behörde. Mit diesem Generalangriff auf die sowjetische Vergangenheit der Ukraine gehen die Bemühungen des Präsidenten einher, nationalistische und faschistische Organisationen zu rehabilitieren, die während des Zweiten Weltkrieges am Völkermord beteiligt waren, gegen die Sowjetunion kämpften und mit Nazideutschland kollaborierten.

Juschtschenko bemüht sich schon seit Jahren, Mitglieder der »Ukrainischen Aufstandsarmee« (UPA) oder der »Organisation Ukrainischer Nationalisten« (OUN) als »Kämpfer für die Unabhängigkeit der Ukraine« öffentlich zu etablieren und ihnen den mit Privilegien verbundenen Status von »Kriegsveteranen« zu verleihen. Diese »Veteranen« waren führend am Völkermord an der jüdischen und polnischen Bevölkerung der Westukraine beteiligt, dem Hunderttausende Menschen zum Opfer fielen.

Kurz nach dem Einmarsch deutscher Truppen gingen ukrainische Faschisten vielerorts zu Massenmorden an der jüdischen Einwohnerschaft über, allein im westukrainischen Lviv kamen binnen weniger Tage Tausende Juden durch die Pogrome um. Ähnlich verhielt es sich bei dem von der UPA mit Unterstützung ukrainischer SS-Divisionen verübten Völkermord an der polnischen Bevölkerung in Galizien, bei dem weit mehr als 100000 Menschen umkamen. Bei ihrem Rückzug überschüttete die Wehrmacht die UPA förmlich mit Waffen, so daß sie ihren Kampf gegen die Sowjetmacht noch bis in die 50er Jahre fortsetzen konnte.

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