Die Krise schlägt durch

23.04.2008
Massenentlassungen im US-Finanzsektor. Ungeachtet geschönter Statistiken steigt Arbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten weiter an

Auf New York City dürften düstere Zeiten zukommen. Die weiter um sich greifenden Finanzkrise zehrt nicht nur das Eigenkapital der Bankkonzerne auf und schränkt deren Fähigkeit zur Kreditvergabe ein. Zahlreiche Schwergewichte des US-Finanzkapitals haben auch massive Entlassungen ankündigt. Seit Ausbruch der Subprime-Krise im August 2007 sind laut International Herald Tribune bereits 20000 Arbeitsplätze im Banken- und Finanzsektor verlorengegangen. Doch dies war nur ein Anfang. Inzwischen kündigten Bankkonzerne wie Citigroup, Merrill Lynch und Wachovia an, sich von weiteren 45000 Mitarbeitern zu trennen. Zugleich dürften viele der beim Investmentbankhaus Bear Stearns arbeitenden 14000 Angestellten ihren Job verlieren. Die Traditionsbank war mit Hilfe des Staates Mitte März vor der Pleite gerettet und vom Konkurrenten JPMorgan Chase übernommen worden. In der gesamten Finanzbranche sollen in diesem Jahr 200000 Arbeitsplätze vernichtet werden.

Diese Entlassungswellen werden hauptsächlich die Konzerne im Dunstkreis der Wall Street treffen und somit in New York tiefe Spuren hinterlassen. Keine Metropole der Welt hängt dermaßen am Tropf der Finanzindustrie wie Big Apple. 2007 war der Finanzsektor für ein Drittel aller in der größten Stadt der USA gezahlten Löhne verantwortlich, da jeder der hochbezahlten Banker und Broker an der Wall Street mit seinen Ausgaben drei weitere Jobs generiert. Somit erreichte die meist in spekulativer Voodoo-Ökonomie engagierte, mit fiktivem Kapital jonglierende Finanzbranche ein nie zuvor gekanntes Gewicht in der realen Ökonomie. Zwar waren auf dem Höhepunkt der 2001 geplatzten sogenannten Dotcom-Blase 200000 Menschen, und damit geringfügig mehr in New Yorker Wertpapierhäusern beschäftigt als auf dem Höhepunkt der Immobilienhysterie im vergangenen Jahr. Allerdings haben sich die Löhne der Finanzjongleure und ihrer Helfer seit 2001 de facto verdoppelt. Inzwischen hat sich deren Durchschnittsverdienst auf 387000 US-Dollar aufgeschwungen – pro Monat, versteht sich. Banker und Broker sorgten bislang also für den Treibstoff des Aufschwungs der Megacity, für kaufkräftige Nachfrage. Die droht nun massenhaft wegzubrechen.

Inzwischen ist auch die notorisch geschönte offizielle Arbeitslosenquote in den USA im Steigen begriffen. Im März verzeichnete der US-Arbeitsmarkt schon das dritte Mal in Folge einen Nettoverlust an verfügbaren Arbeitsstellen, so daß die Arbeitslosenrate auf 5,1 Prozent stieg. Vor einem Jahr waren offiziell nur 4,4 Prozent aller Lohnabhängigen als arbeissuchend gemeldet. Insgesamt gingen im vergangenen März 80000 Jobs verloren, seit Jahresanfang sogar 232000. Die Arbeitsplatzverluste summierten sich damit auf ein ähnliches Niveau, wie es 2001 vor der letzten Rezession in den USA erreicht wurde. Dennoch dürfte der aktuelle Abschwung um einiges heftiger ausfallen. »Wir stehen vor einer viel längeren Rezession als es die Wall Street annimmt«, schrieb der Ökonom Ian Shepherdson in der New York Times (NYT). »Dieser Abschwung wird von einer seltenen Kontraktion in den Konsumausgeben angetrieben«, so Shepherdson weiter, und dies werde sich auf weitaus breitere Bevölkerungsteile auswirken als auf die von der Immobilienkrise betroffenen Hausbesitzer.

Zu der »Kontraktion in den Konsum­ausgaben« tragen auch die mageren Lohnzuwächse bei. Diese lagen im Jahresvergleich bei 3,6 Prozent, also unter der Inflationsrate von mehr als vier Prozent. Zudem werden immer mehr Arbeiter und Angestellte genötigt, in Kurzarbeit zu gehen. Der NYT zufolge waren Ende März nahezu fünf Millionen Lohnabhängige wegen Auftragsmangels genötigt, in Teilzeit zu arbeiten. Im Vergleich zu November 2007 markiert das eine Zunahme von 400000 Kurzarbeitern. In der Vergangenheit hatten die Angehörigen der US-Mittelschicht einen Teil des inflationsbereinigt sinkenden Lohnniveaus noch durch die Steigerung der Wochenarbeitszeit kompensieren können. Diese Möglichkeit gibt es nun nicht mehr. Es verwundert nicht, daß die US-Regierung Mitte März melden mußte, die Steigerung der Durchschnittslöhne sei schon im sechsten Folgemonat unterhalb der Inflationsrate geblieben. Der private Konsum als die fundamentale Antriebsfeder der US-Ökonomie dürfte sich bei einer Zuspitzung dieser Entwicklung zumindest mittelfristig nicht mehr erholen.

Dabei zeichnet die offizielle Arbeitslosenstatistik ein verfälschtes Bild der sozialen Wirklichkeit in den Vereinigten Staaten. Selbst die New York Times berücksichtigt die zur Kurzarbeit genötigten 4,9 Millionen US-Amerikaner in ihrer Statistik, die in der Kategorie »versteckte Arbeitslosigkeit« erfaßt werden. Hinzu kommen noch etwa 4,5 Millionen Arbeitslose, die aus unterschiedlichen Gründen aus der offiziellen Statistik herausgefallen sind. Laut NYT liegt der Anteil der Menschen ohne Arbeit – inklusive der »offiziellen« Arbeitslosen – derzeit bei 13,1 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung. Sicherlich wollten nicht alle dieser Menschen arbeiten, so die Zeitung weiter, da einige darunter mit Kindererziehung beschäftigt oder einfach wohlhabend seien. Doch fänden sich in diesem hohen Prozentsatz Nichtbeschäftigter auch »entmutigte Arbeiter, die Jobs annehmen würden, wenn die von ihnen begehrten Arbeitsstellen verfügbar wären«.

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