Das Terrorspiel der Clowns

Telepolis, 27.10.2016
Eine der berüchtigsten Kunstfiguren der Kulturindustrie erwacht im gegenwärtigen Clownwahn zum Leben

Es lohnt sich, mit den Waren zu beschäftigen, die die spätkapitalistische Kulturindustrie fabriziert Die Avengers im Kampf gegen das Automatische Subjekt. Natürlich nicht ihres konkreten „Unterhaltungswerts“ wegen, oder der vorhersehbaren und standardisierten Erzählstruktur insbesondere der Großproduktionen der Filmindustrie, die eigentlich jeder Kinobesucher schon im Voraus kennt (man geht eher der Effekte und Gags wegen noch ins Blockbuster-Kino).

Die Auseinandersetzung mit den Mainstream-Produkten der Medienindustrie lohnt deswegen, weil diese unbewusst, im Subtext auf das „kollektive Unterbewusste“ der Gesellschaft verweisen, in der sie hergestellt werden. Sie verweisen auf das, was in der Gesellschaft vor sich geht, aber aufgrund der dominanten Ideologie, des gegebenen Sachzwangsregimes nicht öffentlich artikuliert und debattiert wird. Kulturindustrie hat schon immer eine Art umgekehrter Psychoanalyse praktiziert, bei der öffentlich tabuisierte Widersprüche, Prozesse oder Ereignisse ins Unbewusst-Symbolische verdrängt und zumeist personifiziert wurden.

Es gilt also, diesen unbewusst in die Produkte der Kulturindustrie eingewobenen Subtext freizulegen, zu dechiffrieren, um Einsichten in all die irrationalen Verheerungen des Massenbewusstseins zu erhalten, die von der herrschenden neoliberalen Ideologie mit dem Bannfluch belegt sind. Das, was die spätkapitalistische Gesellschaft von sich selbst nicht wissen will, kommt so zu Vorschein.

Und in dieser Hinsicht gewinnt einer der „besten“ und bekanntesten Filme der Kulturbetriebs eine brennende Aktualität: Christopher Nolans 2008 fertiggestelltes Batman-Epos The Dark Knight, das vor allem durch die brillante Performance von Heath Ledger in der Rolle des Jokers berühmt wurde. Für seine schauspielerische Leistung erhielt der 2008 verstorbene Autor 2009 posthum den Oskar als bester Nebendarsteller des populärsten Batman-Films, der rund eine Milliarde US-Dollar an den Kinokassen einspielte.

Der Film ist sicherlich nicht des dümmlichen Plots wegen dermaßen populär, bei dem ein psychisch derangierter Fledermausmann einen wahnsinnigen Clown in einer vom sozialen Zerfall zerfressenen Stadt jagt. Die merkwürdige Faszination, die von The Dark Knight ausgeht, ist gerade der Figur des Joker geschuldet, die voll in der düsteren und gnadenlosen Welt von Gotham City aufgeht. Der von Hollywood kreierte Horror-Clown des Jahres 2008 wird von nackter Zerstörungswut angetrieben, von dem Wunsch der Weltvernichtung, der in der Selbstvernichtung kulminiert. Da ist kein Streben nach dem eigenen Vorteil, nach dem Profit mehr gegeben, wie die Szene der Geldverbrennung durch den Joker illustriert. Alles soll verbrennen.

Und selbstverständlich – es ist 2008 und die Immobilienblasen in der USA und Europa platzen gerade – kündigt sich in der Szene der Geldverbrennung die bevorstehende große Geldverbrennung in der Weltfinanzkrise an. Die im öffentlichen Diskurs tabuisierte Irrationalität des Kapitalismus, der mit rationellen Mitteln den irrationalen Selbstzweck uferloser Kapitalakkumulation verfolgt, wird in der Figur des Joker verkörpert. Und das ist es, was die „Spitzenprodukte“ der Kulturindustrie leisten: Die ins Unbewusste verdrängten Tabus des Kapitalismus werden in Symbolismen, Analogien und Personifikationen dargestellt, sodass im Idealfall die Antizipation gesellschaftlicher Vorgänge möglich wird.

Avantgarde der kommenden Barbarei

Dieser nackte Wahnsinn, die motivlose Leere der Vernichtung, ist es gerade, die das Publikum am Joker so faszinierte und ihn zu einer der populärsten Figuren der späten Kulturindustrie machten, deren Attraktion sich selbst deutsche Politprominenz nicht entziehen kann. Und es ist gerade die Vorwegnahme des sehr reellen globalen Wahnsinns – vom Islamischen Staat bis zum Europäischen Naziwahn – im Zug des akuten Krisendurchbruchs 2008, die in der Figur des Terrorclowns von Gotham City gelungen ist. Der Joker kündigt auf der Leinwand die kommende Krisenära entgrenzter Gewalt an.

In der Schlüsselszene des Films, in der Batman den Joker einem an Folter grenzenden Verhör unterzieht, wagt der Film eine kalkulierte Übertretung der Konventionen des Superheldengenres. Die Grenzen zwischen Gut und Böse, zwischen der – vom Superhelden beschützten – Gesellschaft und den gewöhnlich als Außenseiter agierenden Bösewichten werden eingerissen. Batman und Joker fallen in eins. Er sei die Avantgarde der kommenden Barbarei, die gerade aus der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft entspringen werde, erklärte der fiktive Horrorclown in dem Verhör:

„See, their morals, their code… it’s a bad joke. Dropped at the first sign of trouble. They’re only as good as the world allows them to be. I’ll show you, when the chips are down, these… these civilized people? They’ll eat each other. See, I’m not a monster, I’m just ahead of the curve.“

The Joker

Die Gewalt kommt nicht von „außen“, sie ist kein Fremdkörper. Sie wird in der Mitte der Gesellschaft ausgebrütet. Alle werden zum Joker, sobald der Wind sich dreht und die „Welt“ es den Menschen nicht mehr erlaubt, „gut zu sein“. Er sei nur „ahead of the curve“, er geht nur der großen kommenden Welle voran, so der freimütige Horrorclown.

Was für eine Prophezeiung, bei der das Publikum in die Fratze der Irrationalität der eigenen Gesellschaft blickt, ohne es begreifen zu können. Das ungeheure Anschwellen von irren Krisenideologien in der vergangenen Dekade – vom arabischen Islamismus bis zum europäischen Rechtsextremismus – wird in dieser Aussage genauso antizipiert wie die regelrechte Epidemie vom Amokläufen der letzten Jahre (Fluchtpunkt Amok).

Ein Spitzenprodukt der Kulturindustrie antizipiert somit gesellschaftliche Entwicklungen, ohne auch nur annähernd über deren Ursachen aufzuklären. Alles bleibt im Unbewusst-Symbolischen verfangen, mit der Tendenz zum bloßen Kulturpessimismus. Die Faszination, die von der Figur des Joker ausgeht, schlägt letztendlich massenhaft in Identifikation um. Der Terrorclown ist „geil“. Der Joker ist die Avantgarde der Barbarei, der nun alle folgen. Das ist es, was die Faszination des Films ausmacht. Die Zuschauer fühlen den Joker in sich selber aufsteigen, sie identifizieren sich mit ihm, mit dem bloßen, reinen Vernichtungstrieb – zuerst unbewusst.

Nun erwacht diese Kunstfigur der Kulturindustrie tausendfach zum Leben, im Gefolge einer Internetwelle, die die reelle krisengeschüttelte Welt mit Horrorclowns überschwemmt. Jeder möchte ein bissen Joker sein. Die Faszination und Identifikation mit dem nackten, durch keine Ideologie oder Pseudoreligion getrübten Terrorwahnsinn, die zuerst unbewusst bliebt, wird nun bewusst ausgelebt.

Das Internet mitsamt seinen asozialen Netzwerken fungiert hier als regelrechte Wahn-Maschine, die der Masse der vereinzelten Einzelnen vor den Bildschirmen, die der Neoliberalismus produzierte, eine Möglichkeit verschafft, dennoch unter einem gemeinsamen Wahnsinnsbanner sich isoliert in Bewegung zu setzen.

Was die reellen Horrorclowns treiben, ist letztendlich ein Spiel mit dem Amoklauf. Es ist eine Annäherung an den Terror- und Horrortrip, den der Amokläufer durchlebt, ohne die zumeist tödlichen Konsequenzen in Kauf nehmen zu müssen. Man inszeniert hier einen Psychopathenfilm, wie Freitag, der 13., oder Halloween. Die Angst, die von den Nachwuchspsychopaten im Clownskostüm verbreitet wird, ist eine Einstiegsdroge, die oft zu weiteren Schritten reizen wird. Dieser Internetwelle wird nur kurzfristig bestand haben, um von neuen, krasseren Formen des Terrorspiels abgelöst zu werden.

Hierbei findet letztendlich eine spielerische Popularisierung des Amokwahns statt. Es ist ein Horror-Spiel, das aber jederzeit in blutigen Ernst umschlagen.

Der Horror-Clown bewegt sich in der Grenzregion zwischen spielerischer Annäherung an Terror und Amok – und dessen praktischer Umsetzung in die Praxis eines ziellosen und subjektlosen Vernichtungswahns. Dieser Terrortrieb, der auch die Selbstvernichtung einschließt, ist hier jeglicher religiösen oder ideologischen Legitimierung (wie noch bei Nazis oder Islamisten) entkleidet. Er tritt offen, nackt in Erscheinung – und kommt somit zu sich selbst.

Das irre Ich und die Anderen als potenzielle Opfermasse

Das akkumulierte, massenhafte Potenzial entgrenzter und zielloser Gewalt äußert sich in der gegenwärtigen Horror-Welle, die Ausfluss des Todestriebs der spätkapitalistischen Gesellschaft, des Todestriebes bürgerlicher Subjektivität ist. So, wie das gesamte spätkapitalistische Weltsystem in seiner letalen Systemkrise in die Selbst- und Weltzerstörung übergeht, so gehen auch die einzelnen spätkapitalistischen Subjekthülsen an ihrer Überflüssigkeit irre. Die kriegsbedingt eskalierenden Widersprüche, die auch die Individuen verheeren, sollen im Nichts der Welt- und Selbstvernichtung aufgehoben werden.

Sowohl die ökonomische wie die politische Seite der bürgerlichen Subjektivität lösen sich auf. Das kapitalistische Marktsubjekt, der homo oeconomicus, spürt immer deutlicher die eigene Überflüssigkeit auf dem global in Auflösung übergehenden Arbeitsmarkt. Der homo politicus, das staatsbürgerliche Subjekt, geht krisenbedingt seines politischen und staatlichen Bezugsrahmens verloren. Was übrig bleibt, sind substanzlose Subjekthülsen, die die allseitige kapitalistische Konkurrenz zu einem anomischen, molekularen Krieg weitertreiben, wie es der Krisentheoretiker Robert Kurz zu Beginn des 21. Jahrhunderts prognostizierte:

„Was vom homo oeconomicus übrig bleibt, ist das entsubstantialisierte nackte Konkurrenz-Subjekt, was vom homo politicus übrig bleibt, ist das entsubstantialisierte nackte Gewalt-Subjekt. Wenn die regulären Markt- und Produktionsbeziehungen aufhören, stürzt das Dach der Souveränität ein, die nichts als geronnene, zentralisierte und monopolisierte Gewalt ist, und die Gewalt der inzwischen verinnerlichten Form der Geldkonkurrenz wird verflüssigt, dezentralisiert und demonopolisiert.“

Quelle: Robert Kurz: Marx Lesen!

Letztendlich wird hier die Panik antizipiert, die der Neoliberalismus in der Gesellschaft produziert. Die totale Ausrichtung auf das Konkurrenzverhalten, die in Reaktion auf den Krisenprozess einsetzte, lässt die gesellschaftliche Bindung der einzelnen Subjekthülsen erodieren, bis sie gänzlich erlischt. Mit Freud ließe sich sagen, dass die libidinöse Bindung der Menschen an die Gesellschaft abnimmt, bis die Schwelle zur offenen Panik, zum mörderischen „Rette sich, wer kann“ überschritten wird.

Allem ideologischen Kitt des Neonationalismus zum Trotz wird die zur bloßen Konkurrenz-Arena verkommene spätkapitalistische Gesellschaft von den neoliberalen Elementarteilchen immer öfter nicht mehr als solche wahrgenommen – es gibt nur noch das irre Ich und die Anderen als potenzielle Opfermasse.

„There is no such thing as society.“ – Dieses irre politische Programm Margaret Thatchers scheint nun vollauf realisiert. Und es bekommt ein irres, sehr reales Gesicht.

Nach oben scrollen